Missbrauchsskandal in den USA:Attacke gegen den Täter

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Larry Nassar bei einem Gerichtstermin im Jahr 2017. (Foto: JEFF KOWALSKY/AFP)

Larry Nassar, verurteilt wegen sexuellen Missbrauchs an Hunderten von Minderjährigen, ist in einem Gefängnis niedergestochen worden. Der Fall sorgt für eine Debatte über den Umgang mit berüchtigten Häftlingen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Larry Nassar ist in einem Gefängnis in Florida niedergestochen und lebensgefährlich verletzt worden. Der Arzt, zu mehreren Hundert Jahren verurteilt, weil er sich an mindestens 250 Patientinnen vergangen hat, darunter die Turnerinnen Simone Biles, Gabby Douglas und McKayla Maroney, wurde am Sonntagnachmittag im Bundesgefängnis von Sumterville von Mithäftlingen angegriffen und je zweimal in Hals und Rücken sowie sechsmal in die Brust gestochen. Er überlebte die Attacke laut der Bundesbehörde Federal Bureau of Prisons aufgrund des beherzten Eingreifens der Wärter, er ist mittlerweile außer Lebensgefahr und wird in einem Krankenhaus behandelt - unter anderem ist seine Lunge kollabiert.

"Er hat Glück gehabt, dass er noch lebt", sagte Joe Rojas. Er ist Präsident der Gewerkschaft "Local 506 ", die sich für die Rechte von Gefängnisangestellten einsetzt. In den USA wird gerade heftig über die Zustände dort debattiert; zum einen geht es um fehlende Kühlung und Belüftung in den Gefängnissen angesichts der Hitzewelle in vielen US-Bundesstaaten, zum anderen um Unterbesetzung - was laut Rojas zu lebensgefährlichen Situationen für Häftlinge und Wärter führen könne.

Nassar, 59, arbeitete seit 1986 für den US-Turnverband, seit 1996 war er dessen medizinischer Leiter. Der Missbrauchsfall sorgte weltweit für Aufregung; nicht nur wegen der Zahl und Prominenz der Opfer, sondern weil detailliert nachgewiesen werden konnte, wie Nasser in einem System aus Ignoranz und Misogynie lange Zeit unbehelligt Verbrechen begehen konnte: Die ersten Vorwürfe gegen ihn hatte es bereits Anfang der 1990er-Jahre gegeben.

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In der Netflix-Doku "Athlete A" wird zudem gezeigt, welche gravierenden Fehler die Bundesbehörde FBI bei den Ermittlungen gemacht hat. Nassar hatte sich nicht nur an den jungen Frauen vergangen, sondern auch etwa 37 000 Fotos mit Kinderpornographie besessen - und mindestens ein Video, auf dem zu sehen ist, wie er eine Minderjährige sexuell missbraucht.

Der US-Turnverband und das Nationale Olympische Komitee der USA einigten sich mit den Opfern außergerichtlich gegen Zahlung von 380 Millionen Dollar; die Michigan State University, Nassar war dort Arzt des Turnteams, bezahlte 500 Millionen Dollar. Bei der 130-Millionen-Dollar-Klage von insgesamt 13 Sportlerinnen gegen das FBI gibt es noch kein Urteil, die Behörde hat sich aber öffentlich bei den Opfern entschuldigt. Nassar wurde zunächst zu 60 Jahren Haft verurteilt, später zusätzlich zu bis zu 300 Jahren, er wird also den Rest seines Lebens eingesperrt sein.

Nassar befindet sich seit 2017 in Haft, im Mai 2018 ist er in einem Bundesgefängnis in Arizona angegriffen worden. Er kam deshalb ins Coleman-II-Gefängnis in Florida, in dem es einen Bereich für sogenannte High-Risk-Häftlinge wie Gang-Mitglieder, ehemalige Polizisten oder Sexualstraftäter gibt. Zum Zeitpunkt des Angriffs sei Nassar nicht in diesem Sicherheitsbereich gewesen.

Der Fall sorgt nun auch für eine Debatte über die Sicherheit von berühmt-berüchtigten Häftlingen. Im Juni hatte sich Ted Kaczynki, der in den Jahren 1978 bis 1995 als "Unabomber" drei Menschen getötet und 23 verletzt hatte, in seiner Zelle in einem Gefängnis in North Carolina das Leben genommen.

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