Unwetter in Deutschland:Wenn Wind und Wasser kommen

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Eine Dachlatte steckt in Paderborn in der Windschutzscheibe eines parkenden Autos. (Foto: Lino Mirgeler/dpa)

Schwere Unwetter ziehen über Deutschland. In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz fühlt man sich an die Katastrophe vom vorigen Sommer erinnert. Und stellt sich die Frage: Was haben wir gelernt?

Von Joshua Beer, Oliver Klasen, Marcel Laskus und Gianna Niewel

Bäume sind auf Autos gestürzt, Dachziegeln liegen auf dem Boden. Videos in sozialen Medien deuten an, welche Folgen ein mutmaßlicher Tornado am Freitagnachmittag für die Stadt Paderborn hatte. Es habe schwere Schäden im Stadtgebiet gegeben, sagte ein Feuerwehrsprecher am Abend, im Raum Paderborn gebe es mindestens 30 Verletzte. Zu ähnlichen Szenen kam es im 35 Kilometer entfernten Lippstadt und in anderen Teilen des Landes. Denn über Deutschland zogen laut Prognosen am Freitag die möglicherweise schlimmsten Unwetter des bisherigen Jahres.

Die Bewohnerinnen und Bewohnern von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz dürften sich beim Anblick solcher Bilder an den vergangenen Sommer erinnern, denn erneut befürchteten Experten für beide Bundesländer schlimme Folgen. Im Juli 2021 verursachten heftige Niederschläge dort massive Schäden; mehr als 180 Menschen starben. Wohl auch vor diesem Hintergrund wurde in den vergangenen Tagen besonders eindringlich gewarnt. Vom Deutschen Wetterdienst (DWD) etwa, der die Lage als "explosives Gemisch" bezeichnete und für den Freitagnachmittag für Teile Nordrhein-Westfalens vor schweren Gewittern mit heftigem Starkregen, Sturmböen und Hagel warnte. Aber auch Politiker wie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) appellierten am Freitag an die Bürgerinnen und Bürger: "Bleiben Sie bitte zu Hause. Vermeiden Sie Aufenthalte im Freien."

Bereits Anfang der Woche waren an der unteren Ahr wieder Keller vollgelaufen, Straßen wurden überflutet, rund um die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler rückte die Feuerwehr zu 40 Einsätzen aus. Nun also wieder Starkregen, Sturmböen, Unwetter. Und wieder haben die Menschen Sorge. Die Kreisverwaltung hatte vorab reagiert, sie schloss am Freitag alle Schulen im Landkreis Ahrweiler. Eltern von Kita-Kindern wurden aufgerufen, sie, wenn möglich, zu Hause zu betreuen. In einer Videobotschaft appellierte der Bürgermeister der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler an die Menschen, sensibel und wachsam zu sein.

Punktgenaue Prognosen kaum machbar

Die Bilanz der aktuellen Unwetter, so viel war schon am Freitag abzusehen, dürfte auch ein Test dafür sein, wie nachhaltig die Menschen und Institutionen aus der Katastrophe des vorigen Sommers gelernt haben. Damals kam es zu einer Debatte darüber, wie gut oder eben schlecht die Warnsysteme in Deutschland funktionieren. Zugleich ist klar, dass jedes Wetterereignis dieser Art Probleme mit sich bringt, die sich nur begrenzt vorhersehen lassen.

Einerseits ist Meteorologen die grobe Wetterlage bereits einige Tage vorher klar. Wo genau es dann jedoch zu einer bestimmten Uhrzeit blitzt und donnert, ist aber kaum vorauszusagen. Punktgenaue Prognosen von Gewitterzellen gehören zu den schwierigsten Aufgaben für Meteorologen. "Das müssen Sie sich vorstellen wie bei einem Kochtopf", erklärt Andreas Friedrich, Tornado-Beauftragter des DWD. "Da schalten Sie die Herdplatte ein, dann blubbern die Luftblasen. Aber wo genau die hochgehen, das können Sie nicht vorhersagen. Die Atmosphäre ist eben ein chaotisches System."

Kurzfristige Warnungen, die so genau sind, dass sie eine einzelne Gemeinde betreffen, kann der DWD mit einem Vorlauf von höchstens eineinhalb Stunden vornehmen. Den Bereich von fünf bis 90 Minuten vor einem Gewitter, den oft auch die gängigen Regenradar-Apps abdecken, nennt Friedrich "Now-Casting-Bereich". Ein scheinbar friedlicher Himmel kann sich schnell verfinstern, wie Zehntausende feiernde Fans von Eintracht Frankfurt erst am Donnerstagabend erfahren mussten, als wolkenbruchartige Regenfälle sie bei der Siegesfeier am Römerberg überraschten.

Damit in solchen Fällen keine Panik ausbricht, können auch Warn-Apps beitragen, wie etwa die vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) verantwortete Nina-App. Zehn Millionen Menschen haben sie dem BKK zufolge heruntergeladen. Nina bündelt Warnmeldungen zu diversen Gefahrenlagen wie Unwettern, Bränden, Hochwasser oder Kampfmittelfunden. Nutzer können sich standortbezogen warnen lassen, was bedeutet: In einem Umkreis von bis zu neun Quadratkilometern können sie Orte frei wählen, also etwa Landkreise oder Gemeinden, zu denen sie dann Warnungen aufs Handy erhalten. Über eine Karte können sie sich alle Gefahren bundesweit anzeigen lassen. Die App erteilt auch Ratschläge zum Verhalten im Notfall. Auch am Freitagnachmittag verschickte die App Nina Warnungen an ihre Nutzerinnen und Nutzer.

In den schwer betroffenen Regionen des vergangenen Sommers dürften die Menschen wohl auch ohne Apps und behördliche Warnungen wachsam sein. "Man hat daraus gelernt", sagt Lothar Kirschbauer, Professor für Siedlungswasserwirtschaft und Wasserbau an der Hochschule Koblenz. "Wenn die Menschen im Ahrtal hören: Es kommt Regen, dann sind sie natürlich auf Habachtstellung." Eine Katastrophe müsse das nicht zwangsläufig bedeuten: Ein Gewitter, also ein lokales, kurzes Starkregenereignis, werde nicht zu einer Überflutung der Ahr führen, so Kirschbauer, aber das Kanalnetz sei nicht auf Starkregenereignisse ausgelegt. Auch künftig nicht. Und es komme ein Problem hinzu: "Das Ahrgebiet ist derzeit ja noch eine Riesenbaustelle. Das muss man sich vorstellen wie ein sehr großes Neubaugebiet. Viele Häuser sind im Rohzustand, und wir haben auf den Straßen keine geordnete Entwässerung mehr, das Kanalnetz ist eben noch nicht ganz wieder in Ordnung gebracht." Man sei in einem Zwischenzustand, sagt Kirschbauer. "Nach zehn Monaten ist noch nicht alles wie früher."

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