Hilfe für die Ukraine:Gegen die Ohnmacht

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Ein Mitarbeiter des mobilen Rettungsdienstes SMURD verteilt an der rumänisch-ukrainischen Grenze Taschen mit Lebensmitteln an Flüchtlinge. (Foto: Andreea Alexandru/dpa)

Nie ist es der Zivilgesellschaft gelungen, Hilfe professioneller zu organisieren als jetzt nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Die Spendenbereitschaft ist vor allem im Netz gewaltig.

Von Martin Zips

Zunächst einmal ist da das Gefühl der Hilflosigkeit, auf welches Menschen ganz unterschiedlich reagieren. Die einen ziehen sich zurück, die anderen schimpfen los, es gibt den lauten Protest und die stille Hilfe.

Seit der russischen Invasion in die Ukraine organisieren sich viele Formen von Hilfe in noch nie da gewesener Schnelligkeit und Professionalität. So wurde zum Beispiel in nur wenigen Stunden die Internetplattform "ukrainehelpberlin" zu einer der zentralen deutschen Koordinierungsstellen. Hier melden sich Freiwillige, die bereit sind, entweder mit dem Privatauto oder einem gemieteten Mehrsitzer Kriegsflüchtlinge an der ukrainisch-polnischen Grenze abzuholen, etwa in der Kleinstadt Przemyśl oder am Grenzübergang Medyka-Schehyni.

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Es melden sich auch jene, die eine Unterkunft für Kriegsflüchtlinge bereitstellen möchten. Man kann sich hier einen Überblick über geplante Demonstrationen verschaffen oder darüber, welche Hilfsorganisationen vor Ort im Einsatz sind. So wie das ukrainische Rote Kreuz, das laut eigenen Angaben seit vergangenem Freitag Zuwachs von weit mehr als 1000, meist jugendlichen, Helfern verzeichnet. Es gibt auch jene wie den Arzt Sergej Fortunjew-Steuer vom Hilfsverein "Ukraine-Hilfe-Berlin", der bereits seit Jahren Medikamente, Hygieneartikel und medizinische Geräte für die Ukraine sammelt. Doch nie war sein Engagement gefragter als jetzt.

Tennisspielerin Switolina spendet Preisgelder

Und dann gibt es solche Initiativen wie die der 27-jährigen ukrainischen Weltklasse-Tennisspielerin Elina Switolina, die ankündigte, alle ihre Preisgelder der kommenden Turniere den ukrainischen Streitkräften und der Bevölkerung zu spenden. Das schrieb sie auf Twitter in einem "Brief an mein Heimatland". Der Chef des japanischen Online-Handelsriesen Rakuten, Hiroshi Mikitani, möchte umgerechnet fast acht Millionen Euro für die humanitäre Hilfe in der Ukraine spenden. Nicht zu vergessen ist auch das Angebot vieler Bahngesellschaften, ukrainische Kriegsflüchtlinge gegen Vorzeigen ihres Ausweises kostenlos zu befördern. Alles Spenden, irgendwie. Und sie kommen beeindruckend schnell.

Beim polnischen Pilecki-Kulturinstitut in Berlin indes wartet man täglich zwischen 10 und 18 Uhr auf Sachspenden. Dringend benötigt werden zum Beispiel Powerbanks für Handys, warme Kleidung oder Campingkocher. Auch die Caritas, die Malteser, die Diakonie oder Mission Lifeline sind im Dauereinsatz - oft direkt an den ukrainischen Grenzen in Rumänien, der Slowakei, der Republik Moldau oder mitten im Kriegsgebiet. So ist der Malteser Hilfsdienst zum Beispiel gerade dabei, in der ukrainischen Stadt Iwano-Frankiwsk ein Zeltlager für Geflüchtete zu errichten.

Natürlich gibt es auch Scharlatane, welche versuchen, auf den Zug der weltweit digital vernetzten Hilfsbereitschaft aufzuspringen. So sah sich das Hackerkollektiv Anonymous gerade zum Hinweis gezwungen, dass in seinem Namen keine Spenden gesammelt würden. Entsprechende Behauptungen seien "entmutigend und krank". Um die schwarzen Schafe von den weißen zu trennen, hilft es, auf der Website des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) nachzuschauen, welche Organisationen ob ihrer Effizienz und Transparenz bereits mit einem "Prüfsiegel für sichere Spenden" versehen wurden.

Darüber hinaus gibt es weitere, als gemeinnützig anerkannte Initiativen, wie zum Beispiel die seit 16 Jahren in der Ukraine aktive österreichische Volkshilfe, welche jetzt bei einer Onlineaktion in nur zweieinhalb Tagen mehr als 112 000 Euro gesammelt hat. Und es gibt die Hilfsaktionen der christlichen Kirchen, die mit den Kirchen in der Ukraine - anders als mit der russisch-orthodoxen Kirche, die ja faktisch eine Staatskirche ist - schon seit Jahren freundschaftliche Verbindungen pflegen. "Überwältigend" sei die Solidarität, so fasste gerade der Leiter des kirchlichen Wohlfahrtsverbands Caritas International, Oliver Müller, die Situation zusammen. Auch dank des Internets.

Was nützt die Unterstützung wirklich?

Und dennoch bleibt es bei vielen zurück, das Gefühl von Ohnmacht, Trauer und Hilflosigkeit. Eine solch riesige Demonstration, wie sie Berlin am Sonntag gesehen hat, ist beeindruckend. Aber was nützt die Unterstützung, solange es in Moskau weiterhin nur eine Handvoll Menschen sind, die es öffentlich wagen "Keinen Krieg!" zu rufen?

"Es ist eine riesige Hilfsbereitschaft", sagt Peter Mucke, Geschäftsführer von "Bündnis Entwicklung hilft", das zusammen mit der "Aktion Deutschland hilft" und in Kooperation mit dem "Aktionsbündnis Katastrophenhilfe" die Spenden an weit mehr als 20 DZI-zertifizierte deutsche Organisationen für deren Hilfsprojekte verteilt. "Allein über Onlinespenden haben wir in den ersten Tagen bereits 2,8 Millionen Euro erhalten, Banküberweisungen noch nicht mitgerechnet. Die Hilfsbereitschaft ist diesmal wirklich auffallend."

Aus Erfahrung mit früheren Spendenaktionen - zum Beispiel nach dem Erdbeben auf Haiti oder dem Tsunami im Indischen Ozean 2004 - weiß Mucke aber, "dass es vor allem langfristige Folgen sind, die die Zivilgesellschaft zu tragen hat. Und wir sind uns sicher: Auch die Folgen des Ukraine-Krieges werden noch über Jahre hinweg verheerend sein". Hierfür gelte es schon jetzt, Finanzmittel bereitzuhalten.

Und so wird weiter gesammelt, auch in Rumänien, wo die Menschen ebenfalls Lebensmittel, Decken und Medikamente an die bereits dort gelandeten 80 000 Flüchtlinge verteilen. Aber auch die ukrainische Staatsbank hat eine Internetseite für diejenigen eingerichtet, "die der ukrainischen Armee im Krieg gegen Russland helfen möchten".

"Für militärische Hilfe ist aus unserer Sicht alleine die Politik zuständig", sagt Peter Mucke, Geschäftsführer von "Bündnis Entwicklung hilft". "Uns geht es jetzt in erster Linie darum, die Menschen zu unterstützen, die unter den Folgen der Angriffe leiden." Und wohl jeder, der spendet, hat die Hoffnung, dabei zu helfen, den unfassbaren Schmerz von Millionen von Betroffenen zumindest ein wenig zu lindern. Die Hoffnung, das Gefühl der eigenen Ohnmacht in den Griff zu bekommen.

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