Richard Doring, Reisebuchautor, Pensionsbesitzer und Mitgründer des neuen kleinen Tsunami-Museums in Khaolak
Richard Doring auf dem Grundstück seines "Sita-Garden".
(Foto: Privat)"Das war 1986, als ich Khaolak entdeckte. Ich und meine Frau waren mit dem Wohnmobil unterwegs. Damals gab's hier nur ein paar Hütten in den Cashew-Plantagen. Und nachts bekam man kein Auge zu wegen des Badumm, Badumm der großen Zinnschiffe, die draußen auf dem Meer den Sand vom Meeresboden saugten und ihn zermahlten, um Zinn zu gewinnen. Deshalb ist der Sand hier übrigens auch so fein: Hier ist jedes Korn einst durch die Zinnschiffe gegangen. Damals dachte ich: Das wird nie etwas, touristisch. Kurz danach erwähnte ich Khaolak das erste Mal in dem Loose-Thailand-Reiseführer, den ich schrieb. Mit dem Tourismus ging es richtig los, als Ende der 1990 Jahre während der Asienkrise die Zinnindustrie kollabierte.
Dann ging alles ganz schnell. Die Zinnbarone kauften der Regierung das Land ab. Manche verkauften es weiter, andere bauten selbst erste Ressorts. In meine kleine Bungalow-Anlage, Sita-Garden am Bangniang-Strand, zogen im Dezember 2002 die ersten Gäste ein. Zwei Jahre später, als der Tsunami kam, waren wir die vielleicht am rasantesten wachsende Tourismus-Region in Thailand. Jedes Jahr kamen 30 Prozent mehr Gäste. Khaolak boomte.
Ich und meine Frau, wir waren nicht vor Ort am 26. Dezember 2004, wir machten Urlaub in Laos, eine Schifffahrt auf dem Mekong. Ich flog dann aber sofort zurück. Von meinem Haus stand nur noch das Betonfundament, alles darüber war wie mit der Rasierklinge abrasiert. Ein Audi-Manager aus Ingolstadt und seine Familie hatten das Haus gemietet, man fand kurze Zeit später ihre Leichen. Ich habe sofort ein paar Leute organisiert, wir versuchten zu helfen: Listen der Überlebenden zu schreiben, Tausende von Emails aus Deutschland beantworten, Spenden verteilen, sowas.
Viele der Leute hier verließen Khaolak danach. Ich selbst hatte eine kleine Agentur, eine Webseite, über die wir Buchungen nach Khaolak vermittelten. Wir hatten zu dem Zeitpunkt 139 Gäste auf unserer Buchungsliste, 57 davon waren tot. Eine meiner Mitarbeiterinnen kündigte hernach. Sie sagte, sie ertrage es psychisch nicht mehr, nach dem Tsunami noch Menschen nach Khaolak zu schicken. Ein schlechtes Gewissen hatten wir alle: Wir wollten immer die Familien in Khaolak haben. Die Strände hie sind wie geschaffen für Kinder. Wir haben um sie geworben. Und dann kamen so viele Kinder ums Leben.
Ich selbst dachte nicht eine Sekunde: Das ist das Ende. Ich dachte immer ans Weitermachen. Das war auch die Reaktion vieler Deutscher. Nach dem ersten Schmerz kamen bald Emails: Gebt nicht auf! Macht weiter! Wir kommen wieder! Bei vielen Leuten hier hat der Tsunami die Lebensplanung komplett durcheinander geworfen. Es gab in den Jahren danach große Arbeitslosigkeit, es gab Selbstmorde, Kindesmisshandlungen. Viele hier haben das Unglück nicht verkraftet. Ich habe Ehen unter befreundeten Thais auseinandergehen sehen. Letztlich haben auch meine Frau und ich uns deshalb getrennt. Wir verstanden uns nicht mehr. Ich war in diesen Wochen, in diesen Monaten endgültig ein Teil von Khaolak geworden.
Khaolak hat sich wieder erholt, es wächst schnell. Als der Tsunami zuschlug, gab es in Khaolak unserer Zählung nach 78 Ressorts. Heute sind es schon mehr als 200. Allein in der vergangenen Woche eröffneten drei neue Pensionen. Ja, es gibt einen Trend zu großen Ressorts. Klar, die Banken hatten damals Angst um ihr Geld. Sie haben keine Kredite mehr vergeben an kleine Bungalow-Anlagen, sie wollten nur noch große Hotelanlagen finanzieren. Das verändert natürlich den Charakter eines Ortes.
Jetzt hat die Regierung auch noch viele der kleinen beliebten Strandlokale schließen lassen, weil es Schwarzbauten waren. Ich bin gespannt, was die Gäste sagen. Manche werden vielleicht sagen: Ich komme nicht mehr. Dafür kommen andere. Im Moment haben wir jedes Jahr 20 Prozent mehr Gäste in Khaolak. Unsere Webseite wollen wir jetzt auch auf Russisch übersetzen, um Russen werben. Viele Russen sind ganz anders als ihr Ruf, ich hatte schon ganz feine russische Familien zu Gast in Sita-Garden.
Ich und ein Freund haben gerade oben an der Hauptstraße ein kleines Tsunami-Museum eröffnet. Wir wollen daran erinnern, was vor zehn Jahren hier geschah. Nicht alle wollen das, manche würden das Wort Tsunami am liebsten vergessen machen. Wir haben im Vorraum des Museums Tafeln aufgehängt, lokale Hotels und Unternehmen sollten sich selbst vorstellen. Aber kaum einer wollte mitmachen. Eine mit mir eigentlich befreundete Hotelmanagerin wurde ganz eisig, als ich ihr die Idee vorstellte. Verstehst Du nicht?, sagte sie. Wir wollen das nicht, wir wollen das vergessen."