Beben-Experte:"Japan hat sich richtig gerüstet"

Was tun, wenn eine mörderische Monsterwelle auf einen zurast? Erdbeben-Experte Heiko Woith über die Tsunami-Gefahr, die Vorhersehbarkeit von Katastrophen - und die Gründe, warum die Japaner noch glimpflich davongekommen sind.

Oliver Das Gupta

Dr. Heiko Woith arbeitet am Deutsches Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam, seine Spezialgebiete sind Erdbebenrisiko und Frühwarnung.

Yokohama Central Library

Mehr als 140.000 Menschenleben forderte das große Kantō-Erdbeben von 1923. Im Bild ist die durch Brände verwüstete Großstadt Yokohama zu sehen.

(Foto: Yokohama Central Library)

sueddeutsche.de: Herr Woith, Japan wurde von einem massiven Beben erschüttert. Was genau ist da im Untergrund passiert?

Heiko Woith: Im Prinzip nichts Ungewöhnliches. Es ist zu einem Überschiebungserdbeben gekommen vor der Küste. Die Pazifische Platte schob sich unter die Eurasische Platte. Die Plattengeschwindigkeit liegt in der Größenordnung von acht, neun Zentimetern pro Jahr. Japan ist Teil des Pazifischen Feuergürtels, dort kommt es immer wieder zu schweren Beben.

sueddeutsche.de: Das heutige Beben hatte einen Wert von circa 8,9 auf der Richterskala. Wie häufig gibt es solche massiven Erdstöße?

Woith: Global gibt es Magnitude-Acht-Beben einmal pro Jahr. Es handelt sich also um ein außergewöhnlich starkes Beben. Für Japan liegt die Wiederkehrperiode von Magnitude-Acht-Beben im Durchschnitt bei 180 Jahren.

sueddeutsche.de: Wann wurde Japan zuletzt von einem solch massiven Beben erschüttert?

Woith: Das war 1923, beim Kantō-Erdbeben, das Epizentrum lag übrigens, ähnlich wie heute, ebenfalls vor der Hauptinsel Honshū. Damals wurde ein Wert von etwa 7,9 gemessen. Bei dieser Katastrophe starben mehr als 140.000 Menschen.

sueddeutsche.de: Hat es vor dem heutigen Beben Warnsignale gegeben?

Woith: Uns liegen derzeit noch keine Informationen darüber vor. Aber generell kann man sagen: Retrospektiv ist vieles erkennbar, seriös vorhersagen kann man Beben aber nicht. Ob leichte Erdstöße ein größeres Beben ankündigen oder ob nichts nachkommt, bleibt offen.

Eine Welle, so schnell wie ein Düsenjet

sueddeutsche.de: Vor einigen Tagen hat es ein Beben der Stärke sieben in der Region gegeben. War das ein Fanal für die große Katastrophe?

Beben-Experte: Luftaufnahme des Flutwelle auf dem Naka-Fluss bei Hitachinaka in der Präfektur Ibaraki.

Luftaufnahme des Flutwelle auf dem Naka-Fluss bei Hitachinaka in der Präfektur Ibaraki.

(Foto: AFP)

Woith: So könnte man es sehen. Hinterher ist man immer schlauer.

sueddeutsche.de: Wie hat sich Japan gegen ein solches Beben inklusive Flutwelle gerüstet?

Woith: Japan ist wohl das Land, das am besten vorbereitet ist: Es wird sehr viel Geld in erdbebensicheres Bauen gesteckt, dazu gibt es ein ausgefeiltes Tsunami-Frühwarnsystem. Die Japaner haben getan, was derzeit machbar ist.

sueddeutsche.de: Wie funktioniert dieses Frühwarnsystem?

Woith: Es besteht aus einem sehr engen Netz aus Seismometern, so ist ein Beben schnell feststellbar. Blitzschnell werden die Angaben mit Datenbanken über historische Beben abgeglichen. Und dann wird, wenn es einen Tsunamiverdacht geben sollte, Alarm gegeben. Aber viel Zeit hat man nicht, gerade im Falle Japans: Die Geometrie ist denkbar ungünstig, weil die Beben direkt vor der Küste stattfinden.

sueddeutsche.de: Wellen bis zu zehn Meter hoch sind nun gegen die Küste geschlagen. Was kann man gegen solche Wassergebirge überhaupt tun?

Woith: Im Prinzip kann man nur durch eine Frühwarnung versuchen, die Menschen schnell in höhere Gebiete zu lotsen. Wenn man bei solchen Monsterwellen direkt an der Küste ist: nichts.

sueddeutsche.de: Weglaufen?

Woith: Es handelt sich ja um eine Wellenfront, die in der Tiefe mit Geschwindigkeiten von bis zu 800 Kilometern in der Stunde dahinrast - ein Tempo wie ein Düsenjet. Trifft die Welle auf Land, wird sie zwar stark abgebremst, was Menschen direkt an der Küstenlinie trotzdem wenig hilft. Weglaufen ist zu spät, das geht dann nicht mehr.

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