Los Angeles:Der Anwalt, der einen Anwalt braucht

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Thomas Girardi, hier ein Foto aus dem Jahr 2011, erstritt als Anwalt Millionen. Mittlerweile wurde ihm die Lizenz entzogen. (Foto: imago images/ZUMA Wire)

Thomas Girardi vertrat einst Erin Brockovich, galt als Kämpfer für Menschen in Not und verkehrte mit seiner Frau Erika Jayne in illustren Kreisen. Inzwischen wurde er selbst hundertfach verklagt.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es ist eine Geschichte, die derart abstrus und verrückt ist, dass sie nur in Beverly Hills spielen kann, der Stadt der Abstrusen und Verrückten am Rande der ohnehin wahnwitzigen Metropole Los Angeles. Es geht um eine Flugzeugkatastrophe und Betrug in Millionenhöhe; um eine möglicherweise nur vorgetäuschte Scheidung; um ein Leben in Saus und Braus, öffentlich vor aller Welt ausgebreitet in einer TV-Sendung. Es geht um Thomas Girardi und Erika Jayne.

Girardi war einst Anwalt von Erin Brockovich, die in den 1990ern durch ihre Beharrlichkeit (und die Beharrlichkeit ihrer Anwälte) dafür sorgte, dass der amerikanische Energiekonzern "PG&E" 333 Millionen Dollar an Opfer der Trinkwasserverseuchung im kalifornischen Hinkley zahlen musste. Weltweit bekannt wurde der Fall durch den Film mit Julia Roberts, die für ihre Rolle als Erin Brockovich den Oscar erhielt. Girardi galt bereits davor als harter Hund ohne Furcht vor großen Konzernen: 1970 hatte er zum ersten Mal in der Geschichte des US-Bundesstaates Kalifornien eine Schadenersatzsumme von mehr als einer Million Dollar wegen fehlerhafter medizinischer Behandlung erstritten. Später verklagte er unter anderem den Rüstungskonzern "Lockheed Martin" und alle sieben großen Hollywood-Studios.

Im Januar 1999, er war damals 59 Jahre alt, heiratete er seine dritte Ehefrau: Erika Jayne, 32 Jahre jünger als Girardi und das, was sie in Hollywood "aspiring actress" nennen - jemand, der unbedingt reich und berühmt werden will. Das schaffte sie auch: Sie wurde 2015 Protagonistin der Realityshow "The Real Housewives of Beverly Hills" - einer Sendung über das Leben reicher Ehefrauen am Rande der Metropole.

Privatjet, Schmuck, Reisen nach Mykonos

Alle konnten in der Show den Prunk und Protz sehen, mit dem sich Jayne umgab. Wem das nicht reichte, der folgte Jaynes Instagram-Account "The Pretty Mess", das schöne Chaos; dort zeigt sie ihr unfassbares Anwesen, ihren Privatjet, Schmuck, Klamotten, Reisen nach Mykonos und Aspen. Und dort verkündete sie im Oktober 2020 das Ende ihrer Ehe mit Girardi. Einen Monat später sorgte die Trennung noch einmal für Schlagzeilen: Mehrere Medien berichteten, dass es die Scheidung nur gebe, damit mehr als 20 Millionen Dollar, die Girardi von seiner Kanzlei über eine Drittfirma an den Entertainment-Konzern von Jayne geschleust haben soll, bei einer Klage gegen ihn nicht angetastet werden können.

Jayne stritt ab, dass die Scheidung lediglich der Sicherung des Vermögens diene; auf Instagram veröffentlichte sie Bilder von Textnachrichten, die Girardi einer Geliebten geschickt haben soll.

Doch brisanter ist ohnehin die Klage, die 2020 eingereicht wurde und vor der Girardi angeblich sein Geld in Sicherheit bringen wollte: Im Oktober 2018 war eine Maschine der indonesischen Fluggesellschaft "Lion Air 13" Minuten nach dem Start in Jakarta ins Meer gestürzt, alle 189 Personen an Bord kamen ums Leben. Girardi erstritt Schadenersatz in Millionenhöhe für die Angehörigen der Opfer, die genaue Summe ist nicht bekannt. Doch das Geld soll nicht vollständig bei den Menschen angekommen sein. Laut Klageschrift soll Girardi mindestens zwei Millionen Dollar abgezwackt haben - für sich und für den ausschweifenden Lebensstil seiner Ehefrau. Es heißt, dass Girardi unter anderem den Versuch seiner Frau finanziert habe, sich in der Musikbranche zu etablieren, mit mäßigem Erfolg.

Hat sie vom Betrug profitiert? Erika Jayne bei einer Preisverleihung im vergangenen Dezember. (Foto: Amy Sussman/Getty Images via AFP)

"Ich habe kein Geld", sagte Girardi, als er im Herbst 2020 auf die Vorwürfe reagierte. "Ich hatte mal 80 Millionen in bar, aber das ist alles weg." Die Frage war freilich: Wo ist das Geld geblieben? Girardis Vermögen wurde einst auf 250 Millionen Dollar geschätzt. Der Anwalt hat in Wahlkämpfen vor allem demokratische Kandidaten finanziell unterstützt, die siegen in Kalifornien sehr häufig und haben dann Einfluss auf die Besetzung von Richtern. Mehrere frühere Freunde Girardis erzählten der Los Angeles Times, dass er unrechtmäßige Gefallen gefordert habe für seine Unterstützung. Es steht unter anderem die Frage im Raum, ob er seine Verbindungen in die Politik missbraucht haben könnte, um sich Vorteile für seine Kanzlei zu verschaffen.

Ist Girardi, bekannt als Kämpfer für die unverschuldet in Not Geratenen, in Wahrheit ein Betrüger, der hinter den Kulissen die Fäden zog, um sich selbst zu bevorteilen?

Mittlerweile gibt es mehr als 100 Klagen gegen Girardi. Immer geht es darum, dass er seinen Mandanten nicht das Geld bezahlt habe, das ihnen zustand. Seine Kanzlei "Girardi & Keese", die auf dem legendären Wilshire Boulevard in Beverly Hills beheimatet gewesen ist, hat Insolvenz angemeldet und ist inzwischen geschlossen.

Girardi wurde die Zulassung als Anwalt entzogen, der 82-Jährige leidet an Alzheimer, weshalb er unter Vormundschaft steht. Doch die Klagen richten sich auch gegen Erika Jayne, sie wird als mögliche Mittäterin erwähnt, mindestens aber als Mitwisserin - und ist damit juristisch belangbar.

"Keine Chance, dass wir Jayne vom Haken lassen"

Wie geht es weiter? Nun, in dieser Woche kam heraus, dass im Bundesstaat Illinois eine Klage gegen Jayne fallen gelassen worden ist - was die sofort auf Instagram als Sieg feierte. Nicht so schnell, heißt es nun. "Keine Chance, dass wir Jayne vom Haken lassen", schreibt Jay Edelson auf Twitter. Er ist der Anwalt der Opfer-Angehörigen des Lion-Air-Fluges, die sich vom Ehepaar Girardi betrogen fühlen: "Wir glauben, dass wir beweisen können, dass sie wissentlich von all den betrügerischen Machenschaften ihres Ehemanns profitiert hat."

Die Klage sei nur deshalb fallen gelassen worden, um sie woanders anstrengen zu können. "Wir werden nicht ruhen, bis die Angehörigen ihr Geld bekommen", schreibt Edelson. Die Geschichte ist also längst nicht vorbei, sie geht erst so richtig los. Die Fälle werden nun verhandelt, wo sie hingehören: im wahnwitzigen Los Angeles.

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