Terrorismus:Verhältnis voller Widersprüche: Die Türkei und der IS

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Nach dem Anschlag in Istanbul. (Foto: Holly Pickett/Archiv)

Istanbul (dpa) - Als nach dem Anschlag in Istanbul die Nationalität aller Opfer noch lange nicht feststand, hatte die türkische Regierung die Hintermänner des blutigen Akts bereits ausgemacht.

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Istanbul (dpa) - Als nach dem Anschlag in Istanbul die Nationalität aller Opfer noch lange nicht feststand, hatte die türkische Regierung die Hintermänner des blutigen Akts bereits ausgemacht.

Verantwortlich für das Attentat eines Syrers sei die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), erklärte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Doch welche Hinweise für eine Täterschaft der Extremisten sprechen, verrieten die türkischen Behörden bislang nicht. So bleibt die Frage: Haben die sunnitischen Extremisten den Anschlag tatsächlich geplant?

Auffällig ist, dass sich der IS bislang nicht dazu bekannt hat. Nach dem Absturz des russischen Passagierjets über der ägyptischen Sinai-Halbinsel und den Paris-Anschlägen vom November übernahm der IS öffentlich die Verantwortung. Diesmal aber schwiegen die Extremisten - dabei würde ein Bekennerschreiben in die Propagandastrategie der Gruppe passen, sollte sie den Anschlag geplant haben.

Zudem hätte der IS mit dem Attentat ein Land getroffen, dem immer wieder vorgeworfen wurde, die Extremisten zu tolerieren oder sogar zu unterstützen - in der Hoffnung, sie würden zum Sturz des syrischen Regimes beitragen. Der Verdacht: Der frühere Regierungschef und heutige Präsident Recep Tayyip Erdogan lasse den IS gewähren, dafür verübten die Extremisten keine Anschläge in der Türkei.

Spätestens seit dem Vormarsch des IS auf die syrische Grenzstadt Kobane im Herbst 2014 sah sich die türkische Regierung dem Vorwurf ausgesetzt, ihr eigentlicher Feind seien nicht die Dschihadisten, sondern die mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK verbündeten Milizen, die in Nordsyrien gegen die IS-Extremisten kämpfen. Tatenlos sahen türkische Truppen von der Grenze aus zu, wie die Dschihadisten die kurdische Stadt einzunehmen drohten.

Erst als Kobane kurz vor dem Fall stand, erlaubte die Türkei kurdischen Peschmerga-Kämpfern aus dem Irak die Durchreise durch ihr Staatsgebiet, um den bedrängten syrischen Kurden zu helfen. Bis dahin war der Druck auf Erdogan, mehr gegen den IS zu unternehmen, dramatisch angewachsen. Anonyme US-Regierungsvertreter kritisierten damals über die „New York Times“: So handelt kein Nato-Verbündeter, während einen Steinwurf von der Grenze entfernt die Hölle ausbricht.

Für Spannungen sorgte auch die Weigerung der Türkei, den USA die Nato-Luftwaffenbasis Incirlik für Angriffe gegen den IS in Syrien und dem Nordirak zu erlauben - erst im vergangenen Juli gestattete Ankara den USA die Nutzung des Stützpunkts. Damals flog die Türkei auch erstmals selber Angriffe auf IS-Stellungen in Nordsyrien. Zeitgleich begannen allerdings Luftangriffe gegen die PKK im Nordirak. Nun sah sich die Türkei dem Vorwurf ausgesetzt, unter dem Vorwand des Anti-Terror-Kampfes die Arbeiterpartei vernichten zu wollen.

Was für den IS als Drahtzieher des Anschlags spricht, ist ein Wandel in der türkischen Politik. Zwar führte Ankara den Kampf gegen die Kurden weitaus härter und betont, zwischen dem Terror der PKK und dem des IS gebe es keinen Unterschied; trotzdem hat das türkische Engagement gegen die Terrormiliz deutlich zugenommen, auch weil schon vor Istanbul mehrere schwere Anschläge im Land verübt worden waren.

So ist die Grenze zum IS-Gebiet in Syrien längst nicht mehr so durchlässig wie noch vor einigen Monaten. Türkische Soldaten bilden kurdische Peschmerga im Nordirak im Kampf gegen die Extremisten aus. Und von der Türkei aus fliegt die Anti-IS-Allianz ihre Angriffe gegen den IS. Seit vergangener Woche starten im Kampf gegen den IS von Incirlik auch die Aufklärungstornados der Bundeswehr.

Dieser Einsatz der Bundeswehr könnte ein Motiv für einen gezielten Anschlag gegen deutsche Touristen sein, auch wenn Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) dafür bislang keine Hinweise sieht. Schon seit dem deutschen Afghanistan-Engagement ist die Bundesrepublik ins Visier von Dschihadisten geraten. Auch aus Syrien gab es in den vergangenen Monaten Drohungen von IS-Anhängern gegen Berlin.

So tauchte im August ein Internet-Video mit dem aus Wien stammenden Mohammed Mahmud auf, ein bekanntes Gesicht für deutsche Sicherheitsbehörden. Seine Drohung war deutlich: „Ein Wort an Dich, Frau Merkel: Du schmutzige Hündin (...) Wir werden uns rächen für das Blut von den Muslimen, dass ihr vergossen habt in Afghanistan.“

Die Bundesregierung will sich weder von solchen Drohungen noch von dem Anschlag beeindrucken lassen. „Wir werden vor dem Terrorismus nicht zurückweichen“, erklärte der Innenminister Thomas de Maizière in Istanbul. Auch der türkische Regierungschef Davutoglu gab sich im Kampf gegen den IS entschlossen. Am Dienstagabend nach dem Anschlag griff Ankaras Luftwaffe allerdings als erstes die PKK im Nordirak an.

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