Terrorismus:Belgien und der Terror: «Nicht optimal vorbereitet»

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Der Brüsseler Stadtteil Molenbeek war - wie jetzt nach Anschlägen von Paris - schon häufiger Ziel von Polizei-Razzien. (Foto: Stephanie Lecocq)

Brüssel (dpa) - Schwer bewaffnete Soldaten gehören inzwischen zum Straßenbild Brüssels und anderer belgischer Städte. Die Militärs vor Botschaften oder öffentlichen Gebäuden sehen mitunter gelangweilt aus, der Wachdienst gilt als nicht sehr interessant.

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Brüssel (dpa) - Schwer bewaffnete Soldaten gehören inzwischen zum Straßenbild Brüssels und anderer belgischer Städte. Die Militärs vor Botschaften oder öffentlichen Gebäuden sehen mitunter gelangweilt aus, der Wachdienst gilt als nicht sehr interessant.

Nach den Terroranschlägen von Paris werden noch mehr Armeeangehörige zum Schutz der öffentlichen Sicherheit eingesetzt, bis zu 520 Uniformierte stehen nun dafür bereit.

Für die Mission an der inneren Front gibt es gute Gründe. Denn Belgien hat ein riesiges Terrorproblem. Abdelhamid Abaaoud, bisher der meistgesuchte Islamist des Königreichs und mutmaßlicher Drahtzieher der beispiellosen Anschläge in der französischen Hauptstadt, kam am Mittwoch bei einem Eingriff französischer Spezialkräfte in Saint-Denis nördlich von Paris ums Leben.

Brahim Abdeslam, der im Brüsseler Stadtbezirk Molenbeek lebte, sprengte sich am vergangenen Freitag vor dem Pariser Lokal „Comptoir Voltaire“ in die Luft. Sein 26 Jahre alter Bruder Salah ist auf der Flucht. Im Großraum Brüssel gab es am Donnerstag wieder Razzien. Die Polizei ist auf der Suche nach Bekannten und Familienangehörigen von Bilal Hadfi, einer der Pariser Selbstmordattentäter.

Ist das Land der Flamen und Wallonen mit elf Millionen Einwohnern auf den Kampf gegen den internationalen Terror vorbereitet? Der Politologe Jean-Benoît Pilet von der Freien Universität Brüssel zeigt sich skeptisch. Die Polizei sei nicht im Topzustand, da jahrelang zu wenig investiert wurde. „Belgien ist nicht optimal vorbereitet, aber das gilt auch für andere Länder“, sagt der Hochschullehrer.

Die Regierung des liberalen Premiers Charles Michel reagierte nach den Pariser Anschlägen und hob die Terror-Warnstufe auf Drei an. Damit ist fast das Maximum der vierstufigen Skala erreicht - eine Bedrohung wird als „möglich und wahrscheinlich“ angenommen. Der belgische Fußballverband sagte das Testspiel seiner Nationalmannschaft gegen Europameister Spanien ab - die Partie war für Dienstag geplant gewesen.

Die Mitte-Rechts-Koalition von Michel brachte bereits im Januar ein Anti-Terror-Gesetzespaket auf den Weg. Damals hoben Sicherheitskräfte in einer spektakulären Aktion eine Terrorzelle im ostbelgischen Verviers aus, zwei Verdächtige starben.

Zu den Neuerungen der Regierung gehörte die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrats, um die Arbeit von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden zu koordinieren. Noch nicht alle Punkte des Plans seien in die Tat umgesetzt, bilanzierte die Tageszeitung „Le Soir“, beispielsweise der Kampf gegen den Radikalismus in den Gefängnissen. Michel kündigte zuletzt an, dass 400 Millionen Euro zusätzlich für Sicherheit und den Kampf gegen den Terror fließen sollen.

In der Innenstadt Brüssels reihen sich glitzernde Luxusgeschäfte aneinander, vor denen schwere Limousinen parken. Doch die Jugendarbeitslosigkeit beträgt in der Hauptstadtregion etwa 30 Prozent. In Krisengemeinden wie Molenbeek-Saint-Jean brechen viele Jugendliche die Schule ab. Die Probleme sind laut Experten nicht neu, im Gegenteil, man rede darüber seit 20 Jahren.

„Die politischen Parteien Belgiens haben eine große Verantwortung, denn sie haben die Größe der Herausforderungen in Brüssel niemals verstanden“, bilanziert der Politikwissenschaftler Pilet. Weder die Niederländisch sprechenden Parteien Flanderns noch die frankophonen Parteien der Wallonie seien für ihr politisches Überleben wirklich auf die Hauptstadtregion mit ihren 19 Gemeinden angewiesen. „Große Politiker, die aus Brüssel kommen, sind verschwunden“, meint Pilet.

Der Politologe macht auf das komplexe bundesstaatliche System Belgiens aufmerksam. So steuere die Regierung zwar die Politik für Migranten, doch für deren Integration seien die Regionen verantwortlich. „Die Regionen handhaben das sehr unterschiedlich.“ Wegen geteilter Kompetenzen sei es auch schwierig, für arbeitslose Jugendliche einen Job zu finden oder Schulabbrecher zu unterstützen - gerade in Brüssel.

Belgien hat auch ganz einfach einen geografischen Vorteil. Es liegt im Herzen Europas, Metropolen wie Paris, London, Amsterdam oder Köln sind rasch zu erreichen. „Es ist einfach, dorthin zu kommen. Es gibt keine Grenzen“, sagt Edwin Bakker von der niederländischen Universität Leiden. Belgien sei auch für seinen illegalen Waffenmarkt bekannt. „Wer ein Schnellfeuergewehr oder anderes Material kaufen will, hat mehr Chancen in Belgien als in - sagen wir - den Niederlanden“, bilanziert der Terrorismusexperte.

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