Terror in Frankreich:Die Idole der Attentäter

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Der ehemalige Anführer von al-Qaida in Jemen, Anwar al-Awlaki: auf ihn berufen sich die Attentäter von Frankreich. (Foto: Anwar al-Awlaki - Idol der französischen Attentäter)
  • Drei Männer haben die französischen Attentäter Chérif Kouachi, Saïd Kouachi und Amedy Coulibaly bei ihrem Weg in die Fanatisierung geprägt: der französische Islamist Djamel Beghal, Farid Benyettou, der als religiöser Fanatiker in einer Pariser Moschee Dschihadisten rekrutiert hat, und der jemenitische Ex-Anführer von al-Qaida auf der arabischen Halbinsel, Anwar al-Awlaki.
  • Die Radikalisierung der drei Männer hat sich offenbar über mehrere Jahre hingezogen.
  • Auch an den Partnerinnen der Attentäter ist dieser Prozess zu sehen gewesen. Diese begannen sich bis zu den Füßen zu verschleiern und von Freunden und Familie zurückzuziehen.

Von Nadia Pantel

Das Dorf Murat liegt dort, wo Frankreich am grünsten ist, inmitten der Wälder und Hügel der Auvergne, im Zentrum von Frankreich. Hier leben gut zweitausend Menschen, einer von ihnen ist der vorbestrafte Islamist Djamel Beghal. Und in seinem Haus kreuzen sich die Wege von Chérif Kouachi, Saïd Kouachi und Amedy Coulibaly, der drei Männer, die in den vergangenen Tagen in Frankreich 17 Menschen getötet haben.

Die Kouachis und Coulibaly kannten einander nicht nur, sie hatten die gleichen Lehrer und Verführer. Einer von ihnen war Beghal. Fotos belegen, dass die drei Attentäter mehrmals Beghal besuchten und in den umliegenden Wäldern das Schießen übten. Männer wie Djamel Beghal nährten sie auch mit der nötigen Menschenverachtung und dem nötigen Zorn, um ihre Taten auszuführen. Von 2001 bis 2010 saß Beghal eine Haftstrafe ab, weil er geplant hatte, einen Anschlag auf die US-Botschaft in Paris zu verüben. Der Anschlag konnte verhindert werden.

Drei Entscheidende Kontakte auf dem Weg in den Terrorismus

Im Gefängnis lernte Beghal dann 2008 Chérif Kouachi kennen, er wurde sein Mentor. Wo und wann genau Coulibaly und Beghal einander zum ersten Mal begegneten, ist noch unklar. Heute sitzt Djamel Beghal in Haft. Er bestreitet, von den Anschlagsplänen gewusst zu haben. Doch sicher ist, dass Beghal für Kouachi ebenso wie für Coulibaly der zweite entscheidende Kontakt auf ihrem Weg in den Terrorismus war.

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Den ersten Schritt waren sie in der Adda'wa-Moschee im Pariser Stadtteil Stalingrad gegangen. Dort hatte sich von 2002 an um den religiösen Fanatiker Farid Benyettou eine Gruppe junger Männer gebildet, die in den Irak, in den Dschihad ziehen wollten, und teils dort umkamen. Benyettou scheint inzwischen ein neues Leben begonnen zu haben. Der 33-Jährige macht eine Ausbildung zum Krankenpfleger in einem Pariser Krankenhaus. Um Angriffe auf ihn zu verhindern, wurde Benyettou von der Arbeit freigestellt.

Das dritte Idol der Terroristen Kouachi und Coulibaly ist Anwar al-Awlaki: Der ehemalige Anführer der "Gruppe al-Qaida auf der arabischen Halbinsel" (Aqap). Beide Brüder Kouachi sollen in einem zu Aqap gehörenden Trainingslager im Jemen zum Kampf ausgebildet worden sein. Zwar wurde der in den USA geborene al-Awlaki bereits 2011 im Jemen durch einen Drohnenangriff der US-Armee getötet, doch er gilt bis heute als Vordenker des jemenitischen Terrornetzwerks. Und als Inspiration für diejenigen Terroristen, die den Dschihad in Europa und den USA führen. Chérif Kouachi und die Attentäter des Boston-Marathons beriefen sich gleichermaßen darauf, im Namen von al-Qaida auf der arabischen Halbinsel zu handeln.

Doch Querverbindungen zwischen al-Qaida und IS?

Amedy Coulibaly wiederum beruft sich bei den jüngsten Attentaten auf den "Islamischen Staat", wie auch aus einem siebenminütigen Video hervorgeht, das am Sonntagmorgen auf einer Website der Terrormiliz veröffentlicht wurde. Offiziell hat sich der Islamische Staat von al-Qaida abgespalten. Das Video legt nun nahe, dass es doch Querverbindungen gibt.

Posthum prahlt er mit seinen Verbrechen: Amedy Coulibaly auf dem Video, das am Sonntag in die Öffentlichkeit lanciert wurde. (Foto: dpa)

In seinen Interview-artigen Statements erklärt Coulibaly, er sei ein "Soldat des Kalifats" und folge dem IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi. Die Morde an den Mitarbeitern von Charlie Hebdo, ausgeführt durch die al-Qaida-treuen Brüder Kouachi, und die von ihm, Coulibaly, ausgeführte Geiselnahme in einem koscheren Supermarkt seien aufeinander abgestimmt gewesen. In dem Video inszeniert sich der 32-jährige Coulibaly mal in schusssicherer Weste in Tarnfleckmuster, mal in Lederjacke und mit schwarzer Mütze neben einer Kalaschnikow sitzend und schließlich am Boden hockend in weißem Kaftan.

Die letzte Sequenz des Videos nutzt Coulibaly zur direkten Ansprache an andere Dschihadisten: "Was tut ihr, meine Brüder?" Warum, fragt Coulibaly, greifen nicht noch mehr Männer zu den Waffen. Das Kalifat des "Islamischen Staates" würde angegriffen, es sei die Verpflichtung jedes "jungen, sportlichen Mannes in den Moscheen", sich gegen die Angriffe zu wehren. Bei dem Versuch, Arabisch zu sprechen, gerät Amedy Coulibaly immer wieder ins Stottern, in seinen Händen hält er einen Zettel, von dem er seine Rede abliest.

In einem Video wirkt Chérif Kouachi weich und schüchtern

Auch von Chérif Kouachi gibt es Video-Aufnahmen. Sie stammen aus einer Dokumentation des Fernsehsenders France 3, die erzählt, wie Kouachi 2005 daran gehindert wurde, in den Irak auszureisen. Er sei erleichtert, im Gefängnis dem Dschihad entkommen zu sein, sagte sein damaliger Anwalt. Die Aufnahmen zeigen den Alltag des damals 23-Jährigen: wie er trinkt, kifft, mit federnden Schritten und rudernden Armen durch sein Viertel paradiert und Bekannte grinsend mit Handschlag begrüßt. Bei allem Gehabe wirkt er jung, weich und schüchtern.

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Wenig später werden sowohl Chérif Kouachi als auch sein älterer Bruder Saïd und ein paar Kilometer weiter nördlich, in Grigny, auch Amedy Coulibaly damit beginnen, sich aus dem Alltag der Vorstadt zurückzuziehen. Wie weit dieser Rückzug ging, zeigt sich an ihren Partnerinnen. Izzana Hamyd war mit Chérif Kouachi verheiratet. Sie arbeitete eigentlich als Kindergärtnerin. Sie gab den Job auf, als sie sich entschied, nur noch komplett verschleiert das Haus zu verlassen.

Auch Hayat Boumeddiene, die polizeilich gesuchte Lebensgefährtin von Amedy Coulibaly, wurde ihr Job als Kassiererin im Supermarkt gekündigt, als sie nur noch bis zu den Füßen verschleiert zur Arbeit erschien. Sie zogen sich dabei nicht nur aus der Gesellschaft zurück, sondern auch aus ihren Familien und von ihren Freunden. Er stehe unter Schock, sagte der Vater von Hayat Boumeddiene, es falle ihm schwer zu glauben, dass seine Tochter mit den Taten in Verbindung stehe.

© SZ vom 12.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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