Terror in den USA:Boston macht Zarnajew den Prozess

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Eine Zeichnung von Dschochar Zarnajew aus dem Jahr 2013. Nun muss er sich vor Gericht verantworten. (Foto: dpa)
  • Mit den Eröffnungs-Statements von Anklage und Verteidigung beginnt an diesem Mittwoch der Prozess um den Terroranschlag auf den Boston-Marathon am 15. April 2013.
  • Der mutmaßliche Bombenleger Dschochar Zarnajew muss sich vor einem Bundesgericht für den Tod von drei Menschen verantworten.
  • Das Attentat war der schwerste Terroranschlag in den USA seit dem 11. September 2001.
  • Falls er für schuldig befunden wird, droht Zarnajew die Todesstrafe.

Von Oliver Klasen und Manuel Stark

Das Attentat

Drei Menschen starben, mehr als 260 Personen wurden verletzt, als beim Marathonlauf in Boston am 15. April 2013 binnen weniger Sekunden zwei Sprengsätze explodierten. Es war der schwerste Bombenanschlag in den Vereinigten Staaten nach den Attentaten vom 11. September 2001.

Nun muss sich der mutmaßliche Bombenleger Dschochar Zarnajew, 21 Jahre alt, vor Gericht verantworten. Am Mittwoch beginnt der Prozess in Boston. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten unter anderem Mord und den Gebrauch von Massenvernichtungswaffen vor.

Nach Erkenntnissen der Ermittler soll er vor knapp zwei Jahren zusammen mit seinem Bruder Tamerlan zwei Bomben gebastelt und sie im Zielbereich des Marathons gezündet haben. Die Sprengsätze bestanden aus mit Nägeln und Metallsplittern gefüllten Schnellkochtöpfen und waren in zwei Rucksäcken deponiert.

Auf ihrer Flucht sollen die Brüder einen Polizisten erschossen und einen weiteren Beamten schwer verwundet haben. Tamerlan Zarnajew starb bei der Verfolgungsjagd.

Chronologie zu Anschlag von Boston
:Vier Tage, sechs Stunden, acht Minuten

Um 14.50 Uhr am Montag, 15. März 2013, explodiert die erste Bombe, um 20.58 Uhr am darauffolgenden Freitag der erlösende Tweet: "Captured" - der Verdächtige ist gefasst. Was in den vier Tagen des Bostoner Albtraums geschah: Versuch einer Rekonstruktion per Storify - mit Tweets, Bildern und Videos.

Von Lena Jakat

Die Opfer

Viele Überlebende und Angehörige der Getöteten werden als Zuschauer bei dem Prozess erwartet. ( Kurzporträts der Opfer hat die Washington Post zusammengestellt.) Liz Norden war bereits zur Anhörung für die Geschworenenauswahl im Gericht. Ihre Söhne, damals 31 und 33 Jahre alt, wurden bei dem Anschlag beinahe getötet; beiden musste ein Bein amputiert werden. "Ich begreife nicht, welches menschliche Wesen so etwas tun kann. Ich will ihn tot sehen, ich denke, das wäre Gerechtigkeit", sagte Norden.

Norden und andere Angehörige könnten Zarnajew auf zivilrechlichem Wege auf Schadensersatz verklagen - allerdings erst, sobald er strafrechtlich verurteilt ist. Nach allem, was bislang bekannt ist, ist Zarnajews Familie allerdings alles andere als vermögend.

Der Angeklagte

Der Werdegang von Dschochar Zarnajew ist weitgehend unstrittig: Der heute 21-Jährige stammt aus der ehemaligen Sowjetrepubik Kirgisistan, sein Vater stammt aus Tschetschenien, seine Mutter aus der Kaukasus-Republik Dagestan. Die Familie emigrierte 2001 in den US-Bundesstaat Massachusetts und beantragte dort Asyl. 2007 erhielten die Zarnajews eine Aufenthaltsgenehmigung. Dschochar Zarnajew lebte in der Stadt Cambridge, wo er 2011 die Schule abschloss und anschließend an der University of Massachusetts ein Studium der Meeresbiologie begann.

Was für eine Persönlichkeit ist Dschochar Zarnajew? Das ist die Frage, die den Prozess entscheiden dürfte. Ist er ein heimtückischer und mit besonderer Grausamkeit agierender Terrorist, der bereitwillig tötete und sich bereits lange vor der Tat radikalisiert hatte? Das will die Staatsanwaltschaft beweisen. Oder wurde Dschochar Zarnajew von seinem dominanten Bruder Tamerlan manipuliert und zum Islamismus verführt? So argumentiert die Verteidigung.

Zarnajew hat sich in allen Anklagepunkten für nicht schuldig erklärt. Doch die Beweise gegen ihn sind erdrückend.

Boston-Attentäter Zarnajew
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Das Magazin "Rolling Stone" zeigt den Attentäter Dschochar Zarnajew auf dem Cover - und hebt den Kleinmädchen-Hype um den Bombenleger von Boston auf eine neue Stufe. Um der Glorifizierung ein Ende zu setzen, veröffentlicht ein Polizeifotograf unerlaubt neue Bilder von der Festnahme.

Von Felicitas Kock

Der Prozess

Die Verhandlung gegen Zarnajew dürfte einer der größten Prozesse in der Justizgeschichte der USA werden. Geleitet wird er von Richter George O'Toole, im Verfahren gibt es zwei Phasen: Zunächst wird die Frage im Mittelpunkt stehen, ob und in welchen Anklagepunkten Zarnajew schuldig ist. In einer zweiten Phase geht es um das Strafmaß - also um die Frage, ob der mutmaßliche Boston-Attentäter wirklich zum Tode verurteilt wird.

Mehr als 30 Verbrechen umfasst die Anklageschrift, darunter Mord in vier Fällen, vielfache Körperverletzung und den Einsatz von Massenvernichtungswaffen. Letzteres wurde damit begründet, dass die Sprengsätze konstruiert waren, um möglichst viele Menschen zu töten.

Nur dieser Anklagepunkt erlaubte es überhaupt, Zarnajew vor einem Bundesgericht anzuklagen und möglicherweise die Todesstrafe zu verhängen. Im Staat Massachusetts ist die Todesstrafe schon seit 1982 abgeschafft. Das letzte Mal, dass sie tatsächlich angewendet wurde, liegt sogar noch länger zurück: 1947 wurde in dem Bundesstaat zuletzt ein Straftäter hingerichtet.

Zu Zarnajews Verteidigerteam gehört unter anderem Judy Clarke, eine erklärte Todesstrafengegnerin, die obendrein in der Vergangenheit bekannte Attentäter vor der Exekution bewahrt hat. Zum Beispiel Ted Kaczynski, den Una-Bomber, oder Eric Rudolph, der einen Anschlag auf die Olympischen Spiele in Atlanta verübte.

In einem Vor-Verfahren an diesem Montag haben sich bereits erste Spannungen zwischen Staatsanwälten und Verteidigern gezeigt. Die Anklage forderte, im Prozess Teile des Boots zeigen zu dürfen, in dem sich Zarnajew vor seiner Verhaftung versteckt hielt und an dessen Wände er eine Begründung seiner Taten kritzelte. Die Verteidigung will das komplette Boot ins Gericht bringen lassen, um zu zeigen, wo sich der junge Mann stundenlang versteckt hielt und unter welchen Bedingungen er die Sätze schrieb. Auch über die Präsentation von Autopsie-Bildern der Getöteten im Gerichtssaal wurde gestritten.

Die Auswahl der Geschworenen

Eine besondere Herausforderung stellte im Fall Zarnajew die Auswahl der Geschworenen dar. Die Vorauswahl hatte sich extrem lange hingezogen - schließlich will sich Bundesrichter George O'Toole keinesfalls vorwerfen lassen, dass die zwölf Jury-Mitglieder voreingenommen agieren.

Wer als Geschworener in dem Prozess auftreten will, musste generell bereit sein, die Todesstrafe zu verhängen. Zudem ging es im Auswahlprozess um Fragen der Religiosität und der Einstellung zum Islam - Dschochar Zarnajew ist Muslim.

Zusätzlich kompliziert wurde die Sache durch die Bedingung, dass die Geschworenen aus Ost-Massachusetts kommen müssen, aber nicht unmittelbar am Tatort, also in Boston, wohnen dürfen. Die potenziellen Jurymitglieder sollen außerdem weder selbst noch durch Angehörige, Freunde oder Bekannte von dem Attentat betroffen sein - auch nicht mental.

Salvatore Fallica, Professor für Kommunikation an der Universität von New York, bezweifelt, dass auch nur ein einziges der künftigen Jurymitglieder diese Voraussetzung tatsächlich erfüllen kann. Allein durch die immense Öffentlichkeitswirkung des Anschlags sei jeder in der Gegend beeinflusst worden, sagte Fallica dem Sender CC-TV.

Zarnajews Verteidigung hat deswegen immer wieder gefordert, den Prozess in eine andere Stadt zu verlegen. Ohne Erfolg. Am Dienstag wurden die zwölf Geschworenen und sechs Ersatzleute - zehn Frauen und acht Männer - ausgewählt.

© Südddeutsche.de/dpa/AFP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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