Boston-Attentäter Zarnajew:Vom Terroristen zum Coverboy

Das Magazin "Rolling Stone" zeigt den Attentäter Dschochar Zarnajew auf dem Cover - und hebt den Kleinmädchen-Hype um den Bombenleger von Boston auf eine neue Stufe. Um der Glorifizierung ein Ende zu setzen, veröffentlicht ein Polizeifotograf unerlaubt neue Bilder von der Festnahme.

Von Felicitas Kock

Wer war Dschochar Zarnajew? Ein von islamistischer Propaganda indoktrinierter mörderischer Terrorist, der skrupellos tötete? Oder nur ein desorientierter Student, der von seinem dominanten Bruder zu einer Bluttat getrieben wurde?

Am Ende des Prozesses, der an diesem Montag in Boston beginnt, soll die Antwort auf diese Frage klarer zu beantworten sein, als es jetzt möglich ist. Zumindest so klar, dass die Geschworenen am Ende ein Urteil über die Schuld des Angeklagten fällen können, möglicherweise ein Urteil, das die Todesstrafe nach sich zieht.

Im Juli 2013 - nur etwa drei Monate nach den Anschlägen auf dem Boston-Marathon - versuchte sich die US-Zeitschrift Rolling Stone an einem Portrait des mutmaßlichen Attentäters. Sie druckte das Bild von Dschochar Zarnajew sogar auf die Titelseite und löste damit einen Eklat aus.

Die 17-jährige Britney Spears leicht bekleidet und in sexy Pose, Rapper Kanye West als Jesus mit Dornenkranz: Schon oft hat das Cover des amerikanischen Rolling Stone für Empörung gesorgt. Doch in diesem Fall, so jedenfalls die Haltung der Kritiker, beleidigte das Cover die Gefühle einer ganzen Nation. Schließlich gilt der Anschalg auf den Boston-Marathon als schlimmster Terroranschlag seit dem 11. September 2001.

Das Foto auf dem Titelblatt zeigt einen jungen Mann mit bleichem Gesicht, mit dunklen Augen, langen Wimpern, wilden Locken. Es ist eines dieser Fotos des schmächtigen Tschetschenen, in das sich junge Frauen auf der ganzen Welt verliebt haben. Dschochar Zarnajew: Terrorist und Mädchenschwarm - diese oder ähnliche Schlagzeilen gab es bereits wenige Wochen nach dem Attentat. Neben den Berichten über Zarnajews Radikalisierung verbreiteten sich im Internet Gedichte und Liebesbriefe. Irre Mädchenpoesie, adressiert an den Attentäter ihrer Träume. Tausende Schmachtmails und Sympathiebekundungen soll Tarnajew bekommen haben.

"Wie er zum Monster wurde"

Der Rolling Stone jedenfalls hat den Medienhype um den Attentäter auf eine neue Stufe gehoben. Wo sonst die Größen des Showgeschäfts abgebildet sind, prangte, gleich neben dem Namen des populären Rappers Jay-Z, das Konterfei des Attentäters. "Wie er zum Monster wurde", so die Schlagzeile. Sie will nicht so recht zu dem Foto passen, auf dem Zarnajew aussieht wie ein Welpe mit Rockerallüren und nicht wie ein radikaler Islamist, der vier Menschen getötet und 260 weitere verletzt hat.

Kritiker sahen in dem Cover die Glorifizierung eines Mannes, der nicht davor zurückschreckte, eine Nagelbombe inmitten einer Menschenmenge zu platzieren und damit noch viel mehr Todesfälle in Kauf zu nehmen, als es am Ende waren. Vor allem die Art der Präsentation erregte die Gemüter.

Der ehemalige Polizeifotograf Sean Murphys zum Beispiel reagierte wütend auf das Cover des Rolling Stone und wählte seinen eigenen Weg, um dagegen vorzugehen. Murphy selbst hat fotografiert, als die Bostoner Polizei die Zarnajew-Brüder durch Watertown jagte. Seine Bilder zeigen wartende Einsatzkräfte, Männer in Militäranzügen - und Dschochar Zarnajew, der blutüberströmt aus dem Boot steigt, in dem ihn die Beamten nach einem Hinweis des Besitzers schließlich aufspüren konnten. Zarnajew, der am Rand des Bootes kauert, den Kopf auf einen Arm gelegt, der andere Arm schlaff herabhängend. Zarnajew am Boden liegend, wie er medizinisch versorgt wird.

"Er ist tatsächlich der Bombenleger von Boston"

Die Fotos sollten als Gegenprogramm zur Titelseite des Rolling Stone wirken. Murphy veröffentlichte sie beim Boston Magazine, ohne von den Behörden die Erlaubnis dazu zu haben. Die Bostoner Polizei hat ihn entlassen. Doch dem Fotografen war es das wert.

"Das Gesicht des Terrors zu glorifizieren, ist nicht nur beleidigend für die Angehörigen derer, die getötet wurden. Es könnte auch ein Anreiz für diejenigen sein, die ohnehin labil sind, etwas zu tun, um ihr Gesicht auf das Cover des Rolling Stone zu bekommen", wurde Murphy vom Boston Magazine zitiert.

Ob es der Glorifizierung des Zarnajews Abbruch tut, dass auch Bilder von seiner Ergreifung im Umlauf sind, bei dem ihm Blut über das Gesicht strömt, ist fraglich. Die Leistung von Murphys Bildern könnte jedoch darin bestehen, dass sie Zarnajew direkt mit dem Bombenanschlag in Verbindung bringen: Der 19-Jährige kann kaum noch stehen, die Polizei zielt auf ihn. "Dieser Typ ist böse. Er ist der tatsächliche Bombenleger von Boston", sagte Murphy und erklärt damit die Aussage, die seine Bilder vermitteln sollen.

Der Ausgabe des Rolling Stone war laut einem Bericht des britischen Guardian eine Mitteilung beigelegt. Darin heißt es: "Die Tatsache, dass Dschochar Zarnajew jung ist und der gleichen Altersgruppe angehört wie viele unserer Leser, macht es für uns umso wichtiger, die Komplexität dieses Falls zu untersuchen und ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, wie solch eine Tragödie passieren kann."

Die Kritiker sehen eine andere Motivation hinter dem Bild. Es erregt Aufmerksamkeit.

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