Tätowierungen:Ausgestochen

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Schluss mit Bunt: ein Tätowierer auf der internationalen Tattoo-Messe in Rijeka im November. (Foto: Nel Pavletic/imago images/Pixsell)

Die EU verbietet von Januar an Chemikalien, die in fast allen gängigen Tattoo-Farben enthalten sind. Ist das das Ende für bunte Tätowierungen?

Von Alexander Menden

Nach Anhaltspunkten muss man nicht lange suchen, wenn man wissen möchte, warum sich Urban Slamal auf die Vertretung von Tattoo-Künstlern spezialisiert hat. Beim Treffen in seinem Büro in der Düsseldorfer Innenstadt trägt der Anwalt die Ärmel seines Pullis hochgekrempelt, die Kunstwerke auf den Unterarmen sind freigelegt: "Das rechts ist so was Biomechanisches mit Ginkgo-Blättern und Faltern, links asiatisch angehauchte Koi-Karpfen", erklärt er. Später wird er dem Besucher auch einen Blick auf das Doppelporträt zweier Waldfeen auf einem seiner Unterschenkel gewähren.

Beruflich kümmert sich Slamal um Haftpflichtfälle, etwa wenn Kunden seiner Klienten mit ihren Tätowierungen nicht zufrieden sind, oder entwirft Mitarbeiterverträge. Der Jurist ist aber auch Vorsitzender des Bundesverbands Tattoo e.V., der Interessenvereinigung deutscher Tätowierer. In dieser Funktion hat er sich in letzter Zeit vor allem mit einer EU-Verordnung beschäftigen müssen, in deren Schatten sich in der Tattoo-Branche derzeit ein ziemliches Drama abspielt.

Vom 4. Januar kommenden Jahres an unterliegen Chemikalien in Tattoo-Farben in der gesamten Europäischen Union den Beschränkungen durch die sogenannte REACH-Verordnung, Punkt 75, Anlage 12. Diese Regeln sind so streng, dass bei ihrem Inkrafttreten so gut wie keine der gängigen Farben für bunte Tätowierungen mehr verwendet werden dürfen. "Die Tätowiererschaft kann ihre bisher verwendeten Farben dann in die Tonne kloppen", sagt Urban Slamal.

"In die Tonne kloppen": Fast alle gängigen Tattoo-Farben sind von Januar an in der EU verboten. Sie dürfen dann weder verwendet, noch verkauft und auch nicht mehr gelagert werden. (Foto: Christophe Gateau/picture alliance)

Die REACH-Verordnung (kurz für "Registrierung, Evaluierung, Autorisierung und Restriktion von Chemikalien") betrifft zirka 4000 Substanzen für Kosmetika, also auch Nagellack und Lippenstifte, von denen bei Weitem nicht alle in Tätowierfarben enthalten sind - nach dem Motto: Was auf der Haut nichts zu suchen hat, hat auch in der Haut nichts zu suchen. Diese Substanzen seien nicht ausreichend erforscht oder gefährlich, sie könnten beispielsweise Hautallergien auslösen oder krebserregend sein, erklärt die Europäische Chemikalienagentur ECHA.

Dabei ist alles andere als klar, wie gesundheitsschädlich genau die einzelnen Tätowierfarben eigentlich sind. "Um da mehr herauszufinden, müsste man auf Tierversuche zurückgreifen, im Wesentlichen mit Schweinen", erklärt Slamal. "Da Tätowierfarben in diesem Bereich mehr oder weniger bei den Kosmetika mitschwimmen, gibt es hier aufgrund der Verordnungen zum Tierwohl ziemlich große Hürden."

Erlaubt nur noch: Schwarz, Grau, Weiß

Von Januar 2023 an wird es dann noch enger für Farbtätowierer: Dann sollen die Pigmente "Blau 15:3" und "Grün 7" ebenfalls verboten werden. Vor allem ohne den Blauton werden bunte Tätowierungen mehr oder weniger unmöglich, wenn bis dahin kein gleichwertiger Ersatzstoff gefunden ist. Nur Schwarz, Grau und Weiß könnten dann noch sicher eingesetzt werden. Ein Nischenthema ist das längst nicht mehr - laut einer Umfrage des Ipsos-Instituts von 2019 hat mittlerweile jeder fünfte Deutsche eine Tätowierung.

Susanna Taubensee (links) führt gemeinsam mit der Piercerin Martina Ewers ein Studio in Landesbergen in Niedersachsen. Sie hat dafür eine Beamtenkarriere aufgegeben, jetzt sieht sie für ihre berufliche Zukunft schwarz. (Foto: Rohrfire Ink)

"Das ist für mich existenzbedrohend", sagt Susanna Taubensee. Die 36-Jährige ist gelernte Mediengestalterin und arbeitete in der Öffentlichkeitsarbeit der Polizeiakademie Niedersachsen, bis sie sich im September vergangenen Jahres entschloss, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen und sich ganz aufs Tätowieren zu verlegen. Seitdem betreibt sie ihr eigenes Studio in Landesbergen, einer kleinen niedersächsischen Gemeinde. 95 Prozent von Taubensees Werken sind bunt, sie arbeitet viel mit Komplementärkontrasten. "Das ist meine Spezialität, dafür kommen die Leute von überall her zu mir hier aufs Land", sagt sie. Gesundheitliche Bedenken kämen seitens dieser Kunden überhaupt nicht.

Das bestätigen auch Nils Horn und seine Schwester Linda, die sich gerade nach einer Tattoo-Session in einem Osnabrücker Studio von ihrem Tätowierer letzte Pflegetipps haben geben lassen (erst mal keine Vollbäder oder Sport, regelmäßig eincremen und, wenn was ist: sofort anrufen). Die beiden haben sich für eine Sonne und einen Mond als Motive entschieden, "etwas, das uns beide verbindet". Für Linda ist es ihre erste Tätowierung, für ihren Bruder bereits die dritte.

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Nils Horn, Serviceassistent in einem Autohaus im nahen Bramsche, hatte nie Gesundheitsbedenken: "Es gibt Menschen im Umfeld, Freunde und Verwandte, die deutlich mehr Tätowierungen haben, und da ist nie was gewesen. Man unterschreibt ja auch eine Einverständniserklärung. Das muss jeder selber wissen." Seine Schwester ergänzt, für sie sei das "das Gleiche wie bei Piercings, da geht man ja auch das Risiko ein, dass man irgendeinen Nerv trifft". Von der EU-Verordnung haben sie gehört und halten sie für übertrieben.

Tattoo-Bundesverbandsvorsitzender Slamal berichtet, es sei schon "eine gewisse Enttäuschung" seitens der europäischen Tätowierer darüber spürbar, dass die - zum großen Teil US-amerikanischen - Hersteller von Tätowierfarben bislang wenig getan hätten, um sich auf die neue Richtlinie vorzubereiten. Bis zum Jahreswechsel sei da nichts mehr zu machen. "Marktvereinfachende und verbraucherschützende Maßnahmen sind großartig, aber wenn, dann bitte richtig, nicht unter Ignorierung sämtlicher fachwissenschaftlicher Einwände. Das ist wie ein Öltanker unter Volldampf, den kriegt man nicht mehr so schnell angehalten", sagt Slamal.

Eine Online-Petition namens "Save the Pigments"

Ein Hersteller bietet zwar eine kleine Palette regelkonformer Farben an, die sind jedoch schon ausverkauft. Und selbst wenn man verordnungskonforme Farben bekäme, wäre noch lange nicht klar, ob sie qualitativ den herkömmlichen gleichwertig sind. "Von der Farbe, die ich jetzt nutze, weiß ich: Nach zwei Jahren guter Pflege ist die Farbbrillanz noch immer bombastisch", sagt Tätowiererin Taubensee. Wie die neuen Farben aussehen und sich halten, sei völlig unklar.

Es gibt Initiativen gegen REACH: Der Deutsche Bundesverband hat sich mit einer Brüsseler Kanzlei kurzgeschlossen, die prüfen soll, was sich rechtlich noch machen lässt. Die in Kopenhagen ansässige Europäische Gesellschaft für Tattoo- und Pigmentforschung hat die europäische Bürgerbeauftragte Emily O'Reilly offiziell um eine rechtliche Prüfung der Verordnung gebeten. Und auf der Online-Petitionsseite des Europäischen Parlaments gibt es eine Initiative mit dem Titel "Save the Pigments", in der es heißt, die Verordnung könne "nicht im Sinne des Europäischen Gemeinschaftsgedankens sein, da sie weder ihre selbständigen Unternehmer noch die Konsumenten schützt". Das Ausweichen auf Drittländer fördere Schwarzarbeit und reduziere Steuereinnahmen.

Susanna Taubensees Auftragsbuch ist voll bis März. Aber manches bleibt liegen, weil sie mit der alten Farbe kein größeres Projekt anfangen will, das sie dann im Januar nicht weiterführen dürfte. Zum Beispiel ein sogenanntes Sleeve-Tattoo, also die Verzierung, die den Arm von der Schulter bis zum Handgelenk bedeckt wie ein Ärmel. Die bestellten Motive stammen aus Nintendo-Spielen, sind also knallbunt. Man könnte jetzt maximal die Umrisse mit Schwarz und Grauschattierungen vorbereiten. "Ich brenne für diesen Job und habe eine mögliche Verbeamtung im öffentlichen Dienst dafür aufgegeben", sagt die Tattoo-Künstlerin. "Aber im schlimmsten Fall könnte diese Verordnung für mich das berufliche Aus bedeuten."

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