Ein Anruf bei:Strafrechtler Till Zimmermann, der skurrile Urteile sammelt

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Till Zimmermann, 40, seit 2018 Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Trier. (Foto: dpa)

Ein Professor für Strafrecht beweist mit den Urteilen, dass Juristerei und Humor sich nicht ausschließen - vor allem wenn es um Nachbarschaftsstreitigkeiten geht.

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Reime und Ironie sind Stilmittel, die man in der Rechtsprechung eher nicht erwartet. Richter beweisen allerdings ab und an Humor in ihren Urteilen. Mit diesen beschäftigt sich Till Zimmermann, Professor für Strafrecht an der Universität Trier, und erzählt im Gespräch von Rechtsprechungen, die das staubige Image der Jurisprudenz auflockern könnten.

SZ: Humor und Juristerei, wie passt das zusammen?

Till Zimmermann: Das passt natürlich auf den ersten Blick gar nicht zueinander. Die Juristerei ist eigentlich eine sehr ernste Angelegenheit, die Leute streiten sich vor Gericht nicht zum Spaß. Ein Wesensbestandteil des Humors ist aber, dass er überraschend ist - und das ist sozusagen der erste Witz in der Juristerei: Da erwartet man es überhaupt nicht, dass jemand etwas macht, das nicht bierernst ist. Es gibt unterschiedliche Motive, warum ein Richter zum Humor greift.

Zum Beispiel?

Wenn etwa die Streitparteien in ihren ersten Schriftsätzen zu humoristischen Mitteln gegriffen haben, schlagen die Richter mit gleichen Waffen zurück. Manchmal ist es auch eine Art Notwehr des Gerichts, wenn die Streitparteien sich so merkwürdig benommen haben, dass dem Richter irgendwann der Kragen platzt.

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Gibt es keine Vorlagen, wie ein Urteil auszusehen hat?

Gibt es, aber das sind nur sehr grobe. Vom Ausgangspunkt her kann ein Richter ziemlich frei agieren. Im Grundgesetz ist ausdrücklich geregelt, dass Gerichte unabhängig sind. Denen kann im Prinzip keiner reinreden, wie sie ihre Arbeit machen sollen.

Manche Fälle sind an sich ja schon sehr kurios.

Es gibt tatsächlich manche Fälle, die könnte man sich gar nicht ausdenken. Da ist beispielsweise der Katzenkönigfall. Da hat jemand einen Mordversuch begangen, in der vermeintlichen Annahme, so die Menschheit vor dem im Sauerland lebenden bösen Katzenkönig retten zu können.

Und es gibt Fälle, die erst durch den Richter ad absurdum geführt werden.

Es gibt zum Beispiel eine Entscheidung aus dem Amtsgericht Offenbach aus dem Jahr 2002, da geht es um einen Nachbarschaftsstreit und sich beißende Hunde und es heißt: "Beim Beißen mehrerer Rauhaardackel scheidet eine terroristische Dackelvereinigung aus, weil das Beißen kein schwerwiegendes Verbrechen darstellt". Oder die Trunkenheitsfahrt, bei der das Amtsgericht Höxter ein Urteil 1996 wie folgt begründete: "Im Auto tat es duften, wie in der Destille. Die Blutprobe ergab 1,1 Promille. Das ist eine fahrlässige Trunkenheitsfahrt. Eine Straftat, und mag es auch klingen hart".

Eine terroristische Dackelvereinigung? Wie kommt so ein Humor bei den Verurteilten an?

Meistens schlecht, würde ich sagen. Der wegen der Trunkenheitsfahrt Angeklagte aber nahm es mit Humor, sein Anwalt dichtete dem Gericht Höxter als Antwort: "Nach Rücksprache mit dem Mandanten tue ich hiermit kund, für alle in der Rund, für Staatsanwaltschaft und Gericht: Rechtsmittel einlegen, das tun wir nicht." Für viele hört der Spaß vor Gericht allerdings auf. Bei einer Familiensache aus München hat der Richter die Entscheidung auf den 11.11 um 11:11 Uhr terminiert. Karneval. Eine der Streitparteien hat sich dagegen gewehrt mit dem Argument, der Richter würde sie nicht ernst nehmen. Die höhere Instanz, das Oberlandesgericht München, hat aber gesagt, da könnte man keine Befangenheit erkennen, denn "etwas Humor kann auch von den Streitparteien vor Gericht erwartet werden".

Aber im Karnevals-Kostüm darf der Richter nicht kommen?

Er würde sicherlich mit seinem Vorgesetzten Ärger bekommen. Ob man aber tatsächlich das Urteil anfechten kann, ist eine interessante Frage. Ich würde nicht wetten wollen, wie das ausgeht.

Wie halten Sie es persönlich, sollte Humor Einzug in die Rechtsprechung finden?

Wenn ich Richter wäre, würde ich davon die Finger lassen. Man weiß einfach nicht, wie wichtig den Leuten das ist, im Zweifel sehr wichtig. Da ist am Ende Zwang im Spiel und ich hätte ein schlechtes Gefühl, wenn ich da Witze machen würde.

Wenn es um Recht geht, ist also Schluss mit lustig.

Ja, jedenfalls wenn es um Gerichtsentscheidungen geht. In der Wissenschaft kann man immer mal ein paar Scherze machen, aber vor Gericht würde ich das nicht machen. Ich meine, stellen Sie sich mal vor, Sie müssten durch ein Gedicht ins Gefängnis.

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