Straffällige Flüchtlinge:"Die Bevölkerung akzeptiert bestimmte Normübertretungen nicht mehr"

Der Einfluss von Anzeigeverhalten und Polizeiarbeit: Nicht nur die Flüchtlingswelle hat die Kriminalstatistik beeinflusst. Kriminologe Baier macht drei Faktoren aus, die die Zahlen in die eine oder andere Richtung verschieben können.

Dirk Baier: "Es gibt drei Faktoren, die die Kriminalstatistik beeinflussen. Zum einen ist das natürlich das kriminelle Verhalten der Bevölkerung. Begehen die Menschen mehr oder weniger Straftaten, dann wirkt sich dies entsprechend auf die Statistik aus.

Der zweite Faktor ist die Anzeigebereitschaft. Da haben wir Hinweise, dass diese in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Die Bevölkerung akzeptiert bestimmte Normübertretungen nicht mehr und meldet sie dann bei der Polizei. Wenn früher etwa ein Gartenzaun beschädigt wurde, hat man ihn repariert und die Sache war damit erledigt. Heute zeigt man diese Sachbeschädigung bei der Polizei an.

Der dritte Faktor ist die Arbeit der Polizei selbst. Delikte wie Schwarzfahren, Ladendiebstahl oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz werden vor allem durch das Engagement der Ermittler aufgedeckt. Wenn die Polizei verstärkt bei Menschenansammlungen etwa an Bahnhöfen kontrolliert, hat so auch Fahndungserfolge. Das beeinflusst dann wieder die Kriminalstatistik."

Verdächtige sind nicht gleich Täter: In der Kriminalstatistik wird die Zahl der Tatverdächtigen aufgeführt, nicht die der verurteilten Straftäter. Das lässt an manchen Stellen falsche Interpretationen zu.

Dirk Baier: "Wer fremd aussieht, wird auch häufiger bei der Polizei angezeigt. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass die Bereitschaft doppelt so hoch ist, Migranten anzuzeigen als Deutsche. Das treibt die absolute Zahl der Tatverdächtigen in die Höhe.

Das größte Missverständnis an der Kriminalstatistik ist, dass sie nicht die Kriminalität zeigt, sondern nur die Fälle, die die Polizei bearbeitet. Wenn also mehr Straftaten angezeigt werden, muss gar nicht die Kriminalität in der Gesellschaft gestiegen sein, es sieht aber so aus.

Die langfristige Entwicklung der Gewaltkriminalität: Aus der Kriminalstatistik zu lesen, dass Flüchtlinge für die gestiegene Zahl an Straftaten in Deutschland verantwortlich sind, ist ebenfalls ein Missverständnis. Vielmehr zeigt die Statistik einen Trend, auf den die Politik nun reagieren kann, um das Sicherheitsgefühl wieder zu verbessern.

Dirk Baier: "Die Kriminalstatistik ist vor allem gut, um langfristige Entwicklungen aufzuzeigen. Erst im Mehrjahresvergleich kann man diese erkennen. Zwar hat die Anzahl der Gewaltdelikte im vergangenen Jahr zugenommen, doch vergleicht man sie mit den Zahlen der vergangenen 20 Jahre, sieht man schnell, dass es sich nicht um einen historischen Höchststand wie in den 90er-Jahren handelt. Damals hatten wir in Deutschland einen erhöhten Zuzug aus den Balkan- und ehemaligen Ostblockländern. Das Problem wurde erkannt, und man hat sich intensiv um diese Gruppe gekümmert. Seit 2007 sind die Gewaltdelikte gesunken.

Jetzt gibt es einen kleinen Anstieg, der ebenfalls gut zu erklären ist. Wenn man sich nun auch intensiv um diese Personengruppe kümmert und Präventionsarbeit leistet, wird die Zahl der Gewaltdelikte auch wieder zurückgehen. Es gibt keinen Grund, panisch zu werden."

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