Zuwanderer und Kriminalität:Mord in Freiburg - "Ein absoluter Ausnahmefall"

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Blumen, Kerzen und Botschaften erinnern nahe des Fundorts an die vergewaltigte und ermordete Freiburger Studentin. (Foto: dpa)

In Deutschland wächst die Angst: Sind Zuwanderer krimineller als Eingesessene? Forscher Christian Walburg hält viele Sorgen für unbegründet und erklärt, wie man junge Männer von Gewalttaten abhält.

Interview von Matthias Drobinski

SZ: Nach den Übergriffen gegen Frauen in der Kölner Silvesternacht und jetzt dem Tod einer Studentin in Freiburg fragen sich viele: Wie kriminell sind die Menschen, die da gekommen sind?

Christian Walburg: 5,7 Prozent aller registrierten Tatverdächtigen waren 2015 laut Bundeskriminalamt Asylbewerber, Geduldete oder Menschen mit illegalem Aufenthalt. Das ist aber wenig erstaunlich: Geflüchtete sind häufig jung, männlich und leben in nicht gefestigten Lebensverhältnissen. Bei den Delikten geht es oft um Ladendiebstähle und Schwarzfahren. Wo junge Männer längere Zeit in großen Flüchtlingsunterkünften untergebracht sind, gibt es Konflikte und Schlägereien. Trotzdem sind nicht "die" Flüchtlinge kriminell.

Sondern?

Es gibt mehr und weniger auffällige Gruppen. Menschen aus den aktuellen Krisenregionen, also Syrien, dem Irak, auch aus Afghanistan, werden anteilig deutlich seltener registriert als andere. Bei Migranten aus den Maghreb-Staaten, dem Balkan oder Afrika ist der Anteil höher. Das sind eher kleine Gruppen, aber sie verbreiten Unsicherheit, weil ihre Kriminalität offen ist, die Leute zum Beispiel am Bahnhof Drogen verkaufen oder in bestimmten Parks.

Im Jahr 2015 wurden laut Kriminalstatistik 5896 Tatverdächtige in Fällen von Vergewaltigung und sexueller Nötigung ermittelt, 456 von ihnen waren Flüchtlinge. Im Jahr zuvor waren es von 6162 Tatverdächtigen nur 322. Zum Glück geht die Zahl der Sexualstraftaten zurück - aber über den steigenden Anteil von Geflüchteten darf man sich schon Sorgen machen.

Probleme muss man benennen. Es gibt bei Sexualdelikten immer ein großes Dunkelfeld. Viele Gewalt- und Sexualdelikte, in die Flüchtlinge involviert sind, finden in den Massenunterkünften statt, da sind die überhört worden, die früh einen besseren Schutz von Frauen und Kindern gefordert haben. Zum Bild gehört aber auch, dass die Gesamtzahl der Geflüchteten erheblich zugenommen hat, stärker als die Zahl der Tatverdächtigen. Es leben deutlich mehr Migranten im Land, trotzdem sind die Fallzahlen bei Sexual- und Tötungsdelikten erheblich niedriger als vor 15 oder 20 Jahren.

Junge Männer begehen häufig Straftaten - es sind viele junge Männer gekommen.

Ja. Man müsste nun, um genauer über die Kriminalitätsbelastung von Geflüchteten Auskunft geben zu können, vergleichbare Gruppen vergleichen.

Sie scheuen verständlicherweise Aussagen, die nicht wissenschaftlich seriös belegt sind. Aber viele Leute haben den Eindruck, es wird etwas verschwiegen.

Das ist tatsächlich eine Schwierigkeit. Im Lagebericht des Bundeskriminalamts ist zu erkennen, dass bei 4,6 Prozent der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Menschen als Verdächtige registriert wurden, die in den vergangenen Jahren als Flüchtlinge gekommen sind. Vergröbert lässt sich sagen: Es sind mehr als im Schnitt der Gesamtbevölkerung. Aber ob es auch mehr sind als bei gleichaltrigen einheimischen Männern, ist damit nicht gesagt. Dazu laufen jetzt Forschungsprojekte, Ergebnisse gibt es aber noch nicht.

Die Ängste und Sorgen in der Bevölkerung aber sind schon da.

Ja - wobei die Spekulationen ins Kraut schießen, was die Belästigungen auf Volksfesten und Schwimmbädern angeht.

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Die Opfer einer Tat tröstet das nicht.

Nein, keine Straftat darf verharmlost werden. So gesehen ist jede Tat eine zu viel. Aber das Argument, dass es keine Einwanderung geben dürfte, weil durch sie Menschen zu Kriminalitätsopfern werden, ist krude. Es gibt leider keine kriminalitätslose Gesellschaft. Man muss problematische Entwicklungen benennen und etwas dagegen tun. Aber es wird doch gerade sehr vieles politisch instrumentalisiert.

Können Sie was zur politischen Einordnung beitragen?

Den historischen Vergleich. Es kamen schon einmal zahlreiche Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland, nach dem Ende des Ostblocks und mit Beginn des Balkankrieges. Da gingen die Kriminalitätszahlen stark nach oben. Im Verhältnis war die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer übrigens höher als heute. Aber: Nach 1993 gingen die Zahlen wieder nach unten. Auch aktuell berichtet das Bundeskriminalamt, dass die Zahl der angezeigten Delikte von Zuwanderern deutlich zurückgeht.

Anders als 1990, wo zum Beispiel viele Balkanflüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückgingen, andere sich gut integrierten, werden nun Flüchtlinge mit schlechten Aussichten auf Arbeit und Beruf bleiben.

Sozialpolitik ist und bleibt die beste Kriminalpolitik. Heute kommt die internationale Politik hinzu: Solange der Balkan, Osteuropa oder Afrika politisch und sozial instabil sind, werden von dort weiter Menschen nach Westeuropa gehen. Die Kriminalität, die dabei entsteht, ist Armutskriminalität. Die hat tatsächlich zugenommen.

Und wenn in einigen Jahren viele junge Männer aus Syrien, Irak, Afghanistan vergleichbar perspektivlos sind?

Das Risiko besteht, doch die Chancen stehen vielleicht besser als vor 25 Jahren. Es gibt Integrationskurse, man kann sich nach drei Monaten eine Arbeit suchen. Wie wichtig Arbeit ist, zeigt eine niederländische Studie. Insgesamt war dort die Kriminalitätsbelastung von Geflüchteten nach zehn Jahren höher als im Durchschnitt. Hatten die Flüchtlinge aber eine Arbeit, gab es keinen Unterschied.

Inzwischen begrenzt man die Hilfe, um keine Anreize zu schaffen, nach Deutschland zu kommen.

Das ist aus kriminologischer Sicht eine sehr riskante Strategie. Je schneller Flüchtlinge Zugang zur Gesellschaft, zum Arbeitsmarkt, zu Sprache bekommen, desto eher haben sie eine Bindung an die Gesellschaft und ihre Normen.

Umso unheimlicher ist es, dass der Axt-Attentäter von Würzburg und auch der mutmaßliche Mörder von Freiburg beste Unterstützung erhielten.

Ja, das ist furchtbar, und man muss schauen, wo Gastfamilien besser unterstützt werden könnten. Aber auch die beste Hilfe und Förderung kann nicht verhindern, dass solche Verbrechen geschehen. Der Freiburger Fall ist ein absoluter Ausnahmefall, an dem sich keine Muster erkennen lassen. Außer dem banalen Satz, dass mancher Flüchtling seine Traumatisierung und Gewalterfahrung mit sich bringt.

Wie viel Angst muss man auf Deutschlands Straßen nun haben?

Angst ist immer subjektiv, das macht die Antwort schwierig. Insgesamt sind Menschen heute sicherer vor Kriminalität als vor 20 Jahren; viele Sorgen sind unbegründet. Ich möchte aber niemandem absprechen, dass er Angst hat, durch einen Park zu gehen, der als Drogenumschlagsplatz gilt, dass er sich vor Wohnungseinbrüchen fürchtet oder davor, nachts einer Gruppe aggressiver Jugendlicher am Hauptbahnhof zu begegnen.

Was könnte gegen diese Angst helfen?

Man muss sich um solche Problemgruppen kümmern, mit Repression und Angeboten. Das ist nicht einfach, aber auch junge Männer, die stark in der Kriminalität verhaftet sind, wünschen sich ja oft ein anderes Leben. Wobei die beste Arbeit von Sozialarbeitern, Polizei und Justiz nichts daran ändert, dass manche keine Aufenthaltsperspektiven haben.

Welche Rolle spielt die Religion der Geflüchteten bei der Akzeptanz von Gewalt?

Man hat bei muslimischen Jugendlichen eine höhere Verbreitung von gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen festgestellt - allerdings auch bei Spätaussiedlern und bei Jugendlichen vom Balkan. Solche Männlichkeitsbilder entstehen aber auch durch Entwertungserfahrungen. In unserer eigenen Studien hat sich gezeigt: Je besser die jungen Männer integriert und ausgebildet sind, umso weniger akzeptieren sie Gewalt.

© SZ vom 13.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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