Spiel des Jahres:Vom Bildschirm aufs Spielbrett

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Das Computerspiel "Dorfromantik". Der Stil erinnert an Vincent van Gogh. Nun wurde die analoge Variante prämiert. (Foto: Pegasus)

Erstmals ist das "Spiel des Jahres" die Adaption eines Videospiels. Über den Trend, Computerspiele auszudrucken - und warum das nicht immer gelingt.

Von Joshua Beer

Es gibt wohl kaum einen deutscheren Titel für ein Videospiel als "Dorfromantik", doch was soll man sagen: Er passt. Bei dem Hit für die Nintendo Switch aus dem Jahr 2021 baut man ländliche Idyllen aus sechseckigen Kärtchen, es gibt Wälder, Seen, Dörfer. Aus den Schornsteinen steigen weiße Wölkchen, auf den Flüssen dümpeln Kähne, und über Eisenbahnschienen rollen süße Loks. Der Stil erinnert an Vincent van Gogh. Natürlich geht es auch um etwas: Man sammelt Punkte, indem man die Kärtchen möglichst passend aneinanderlegt. Außerdem müssen Aufträge erfüllt werden, damit einem die Karten nicht ausgehen: Bäume pflanzen, Häuser bauen, Schienen legen. Der Gegner ist der eigene Highscore. So schlicht es ist, so süchtig macht das Spiel.

Erfunden wurde es von vier Berliner Designstudenten, vergangenes Jahr haben die Spieleautoren Lukas Zach und Michael Palm dann "Dorfromantik" in ein gleichnamiges Brettspiel übertragen. Ihre Analog-Adaption ist am Sonntag zum "Spiel des Jahres 2023" gekürt worden und darf ab sofort den renommierten roten Pöppel auf dem Deckel tragen.

Die Spieleentwickler Lukas Zach (links) und Michael Palm freuen sich über die Auszeichnung ihres Spiels. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

"Eine Premiere", sagt Manuel Fritsch, der in der Jury saß und als Fachjournalist einen Podcast zu Spielen aller Art moderiert. Dass überhaupt ein brettgewordenes Videogame als "Spiel des Jahres" nominiert wird, habe es so noch nicht gegeben. Und dann gleich zweimal: "Kennerspiel des Jahres" ist "Challengers" geworden, das sich seine Grundmechanik auch aus der Gaming-Welt leiht. Steckt dahinter der Trend, Computerspiele auszudrucken? Fritsch sagt Ja, aber den gebe es schon länger.

Oft gehe es nur darum, Fans ein zusätzliches Merchandise-Produkt zu verkaufen

Spätestens seit das einflussreiche Strategiespiel "Sid Meier's Civilization" 2002 als Brettspiel herauskam, rückten Videospiel- und Brettspielwelt näher zusammen. Mit der "Anno"-Reihe, "World of Warcraft" und "Minecraft" fanden weitere Gaming-Titel ihren Weg auf den Spieltisch. Und zwar recht erfolgreich. Selbst die boomenden "Escape Rooms", bei denen Spielende sich aus abgeriegelten Räumen herausrätseln müssen, starteten als Point-and-Click-Spiele auf dem PC.

Der Einfluss aus dem Digitalen ist also da, allerdings tat sich die Brettspiel-Community in der Vergangenheit schwer, ihn auch zu würdigen. Vielleicht liegt das an der schieren Masse, früher oder später landet jeder große Gaming-Name im Spieleregal oder wird zumindest in ein Kartendeck gepresst. Das wirkt zuweilen beliebig und wenig aufs analoge Format abgestimmt. So soll etwa der Ego-Shooter "Call of Duty" als Brettspiel rauskommen, wie die Crowdfunding-Plattform Kickstarter angekündigt hat. Wer da wen am Familientisch abballern darf und ob Spielzeug-Sturmgewehre beiliegen, lässt Kickstarter noch im Dunkeln. Zusammen mit der Frage, wie sinnvoll ein solches Genre auf dem Spielbrett ist.

Bei vielen solcher Projekte gehe es darum, den Fans ein zusätzliches Merchandise-Produkt zu verkaufen, sagt Spieleexperte Fritsch. Daheim im Schrank machen sich die oftmals teuren Sets durchaus schön, mit Miniaturen, Figürchen und "viel Brimborium". Doch qualitativ Hochwertiges komme "ehrlicherweise selten dabei rum".

Ein gutes Computerspiel wird eben kein gutes Brettspiel, indem man es eins zu eins in die analoge Welt überträgt. Die Atmosphäre geht schnell flöten, der Sound, die Kulisse. Beim Computerspiel liefen zudem viele Dinge nebenher, welche man auf dem Spieltisch mühsam selbst vorantreiben müsse, sagt Fritsch. Seien es Welten, die sich in Sekundenschnelle aufbauen, oder Punkte, die man sonst selbst zusammenzählen muss.

Brettspiele lassen sich meist leichter ins Digitale kopieren, ohne sie entstellen zu müssen

Adaptionen gelingen, wenn sie sich dem langsameren Tempo des computerlosen Spiels anpassen, Dinge weglassen, Mechanismen umschreiben. Dabei ist es meist ratsam, sich vom Vorbild zu entfernen, Brettspiele sind eben Gruppenerlebnisse. Dieser Sprung hat schon geklappt, bei "Anno 1800" etwa oder "Minecraft Builders & Biomes". Und jetzt eben bei "Dorfromantik". Hier haben die Autoren aus einem friedlich dahinfließenden Solo-Game ein Gemeinschaftsspiel gemacht. Die Harmonie bleibt: Man baut zusammen, doch einzelne Spieler können aussteigen, ohne dass die Partie enden muss.

Das Spiel "Challengers" wurde zum "Kennerspiel des Jahres 2023" gewählt. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Das Kennerspiel "Challengers" hat es sich etwas schwerer gemacht, es folgt dem Prinzip des "Auto-Battler". So heißt eine Untergattung von Videogames, in der Spielende, ähnlich wie beim Schach, auf einem Schlachtfeld automatisierte Kämpfe austragen. Eine sehr spezielle Videospiellogik, die in dieser Form noch nie im Analogen ausprobiert wurde.

In die andere Richtung geht es übrigens leichter. Brettspiele lassen sich meist ins Digitale kopieren, ohne sie entstellen zu müssen. Der Computer macht sie sogar schneller. Was wegfällt, ist der Reiz, sich mit echten Menschen echte Steinchen hin- und herzuschieben. "Bei Brettspielen trifft man sich bewusst, holt sich etwas zu trinken, zu knabbern und setzt sich genüsslich an den Tisch. Ein Computerspiel spiele ich dagegen oft zwischendurch", sagte der April verstorbene Spieleautor Klaus Teuber mal im SZ-Interview. Seine berühmteste Erfindung, "Die Siedler von Catan", läuft auch online hervorragend. Seit 2019 gibt es das Kultspiel zum Städtebauen und Schafehandeln auch für die Switch.

Für Teuber standen Brett- und Videospiel nicht in Konkurrenz zueinander, die beiden Formate könnten im Gegenteil viel voneinander lernen. "Dorfromantik" führt das elegant vor: Schon bevor es in der analogen Welt landete, hatte sich das Konsolenspiel von ganz klassischen Brettspielen wie "Catan" und "Carcassonne" inspirieren lassen.

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