Spanien:Früher war alles schlechter

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Wie ein altes Schwarz-Weiß-Bild zu einem Ratespiel unter spanischen Twitter-Nutzern führen konnte. Und was das mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun hat.

Von Thomas Urban, Madrid

Normalerweise verfasst Juan Jacinto Muñoz Rengel apokalyptische und fantastische Romane und Erzählungen, deren Helden Verlierer sind oder Zyniker, die sich über das Elend der Verlierer belustigen. Das Foto, das der spanische Schriftsteller aber jetzt über Twitter verbreiten ließ, ist echt - und schwarz-weiß. Vor allem stammt es aus der guten alten Zeit, von der auch die Menschen in Spanien nicht genug bekommen können. Auf dem Bild: Sechs Männer stehen auf einer Bank, einer grinst, einer lächelt, einer guckt hochnäsig - und eine Stufe unter ihnen: eine verhärmte Witwe.

Im Hier und Jetzt sieht die Welt schon ziemlich anders aus. Am Kabinettstisch in Madrid sitzen heute mehr Frauen als Männer, die großen Fraktionen im Parlament werden von Frauen geführt, und sogar im Königsschloss gelten die neuen Regeln: Über den notorischen Schürzenjäger Juan Carlos hat ein Hofchronist einmal geschrieben, er habe sich so verhalten, "als gehörten ihm alle schönen Frauen Spaniens". Inzwischen spielt Carlos keine Rolle mehr.

Was Juan Carlos' drögen Sohn Felipe betrifft, der ihm gefolgt ist, schaut es nicht anders aus: Die einflussreichsten Klatschkolumnisten sind der Meinung, seine Gemahlin Letizia habe in der Ehe die Hosen an. Und in der nächsten Generation wird es sogar überhaupt keinen König mehr geben, der über das Land herrscht, sondern eine Königin. Felipe hat zwei Töchter, aber keinen Sohn gezeugt. Die Welt des spanischen Machos, was wörtlich übersetzt schlicht "männlich" heißt, bricht also - nun ja - vor aller Augen zusammen.

Und jetzt hat Muñoz Rengel auch noch diesen Tweet abgesetzt.

Nicht nur das. Rengel hat darüber hinaus auch seine Follower dazu aufgefordert, sich zu dem Foto eine Geschichte auszudenken, nach dem Motto: Was war da los? Die (Kurz-)Geschichte musste sehr, sehr kurz sein. Nämlich nicht mehr als die 280 Zeichen, die ein Tweet haben darf. Hunderte Vorschläge gingen ein, der allergrößte Teil zu dem Thema: Geschlechtergerechtigkeit.

Dort reife eine Revolution heran, wird auf Twitter vermutet

Eine kleine Auswahl: "Sie fühlten sich als Herren der Welt, als Wächter einer Gesellschaft, die sie als perfekt ansahen, geschaffen von und für Männer, ohne zu ahnen, dass unter ihren Blicken, die auf diese öde und keimfreie Welt fixiert waren, eine Revolution heranreifte."

"Alle stiegen auf die Bank, um ihn kommen zu sehen, außer der Frau, die alle übersahen, bis ein Kind kam. 'Wollen Sie nicht dazusteigen, Señora?', fragte es. 'Die werden sicherlich Platz für Sie machen.' 'Ich mache es, wenn sich eine Lücke für mich ergibt', antwortete sie. 'Aber nicht, wenn ich selbst dafür sorgen muss.'"

Die kürzeste Geschichte ging so: "Ihre sechs Brüder fühlten sich ihr immer überlegen, aber sie, Herminia, war in den Augen all der anderen die Einzige, die mit beiden Beinen auf dem Boden stand."

Ein anderer Follower stellte dazu noch eine Weisheit von Groucho Marx: "Die Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, können nicht die Hose wechseln."

Muñoz Rengel hat das soziale Experiment inzwischen beendet. Die Auflösung hat er seinen Followern auch mitgeteilt. Es war ein bisschen anders und hatte auch nichts mit Unterdrückung der Frau zu tun, also kein Machotum.

Das Foto ist demnach zu Silvester 1990 am Rande eines Dorffestes entstanden. Zum Jahreswechsel findet dort ein traditioneller Mummenschanz statt, mit Teufelsmasken. Die Fotografin hat die Situation geschildert: Die Männer hätten der Witwe durchaus angeboten, ihr Platz auf der Bank zu machen. Das habe sie aber abgelehnt.

Dafür fühle sie sich zu wackelig auf den Beinen.

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