Sommerloch 1974:Als Italien unheimlich wurde

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Die österreichische Schauspielerin Senta Berger beim Verzehr eines Tellers Spaghetti während Dreharbeiten 1966 in Rom. (Foto: Getty Images)

Die Pasta wird knapp, die Kommunisten wollen Hunde als Hasen deklarieren und eine Hausfrau flaniert nackt durch Mailand. Was ist nur mit den Italienern anno '74 los? Eine Suche nach Erklärungen.

Oliver Das Gupta

Willy Brandt ist weg, Walter Scheel Bundespräsident, der WM-Titel eingeheimst. Dicker kann's ja erst mal nicht mehr kommen, glauben die Bundesbürger, als die großen Ferien 1974 beginnen.

Irrtum, das Sommerloch tut sich nicht lange gähnend auf. Bald wird es gestopft, weil Griechen und Türken gemeinsam mit ein paar Zyprern allerlei Kriegsgerät bewegen und US-Präsident Nixon seine Abdankungserklärung präsentiert. Außerdem erstickt Cass Elliot von der Gruppe The Mamas and the Papas angeblich an einem Schinkenbrot.

Auch in Italien, wo ausnahmsweise keine Regierung stürzt (sie zerbricht erst im November) kriselt es in einem sehr sensiblen Bereich. Die Kippen sind knapp, sowie - Spaghetti. Wütende Mammas verdächtigen die Händler, die Pasta-Preise hochzutreiben. Die beteuern ihre Unschuld - und schieben den Schwarzen Peter den Arbeitern zu, die immerzu streiken oder Ferien machen wollen.

Und das ist noch nicht alles: Der Wein soll vielerorts nicht mehr nur aus Trauben gepresst werden und das Olivenöl nicht mehr aus Oliven. Der Gardasee schluckt den Schmutz nicht mehr, weshalb flugs ein Badeverbot verhängt wird. Plantschen in der Adria ist auch passe, seit ein deutscher Urlauber von einem Hai "zerfleischt" wurde. Auch Städte sind nicht mehr sicher: Rom meldet einen neuen Einbruchsrekord, Triest wird von Hunderten "giftiger Vipern" geplagt - die Folge der hohen Temperaturen.

Fast genauso schlimm: Das Wild ist weg. Oder weggeschossen. In den Hecken und Hainen zwischen Piemont und Sizilien läuft zu wenig, was das Millionenheer der italienischen Freizeitschützen abknallen kann. Bislang haben schon "Kühe, Pferde und Jägerkollegen mitunter herhalten" müssen, notiert die SZ lakonisch. Führer der Kommunistischen Partei in Rom fordern zur Linderung von Volkes Not: Hunde zu Hasen zu machen und einfach herrenlose Köter zu jagen.

Der Arbeitsminister Bertoldi wildert derweil lieber im Gesundheitsbereich. Da die Ärzte gegen die chaotischen Zustände an Italiens Kliniken streiken (SZ: "Nur der Lautsprecher zum Beten geht"), nennt sie der Politiker "Schmarotzer".

Außerdem wird die Italienische Nationale Partei gegründet, die sich sogleich für Eros-Center unter staatlicher Kontrolle ausspricht. Die strammen Rechten wollen außerdem jeden ausländischen Einfluss ausschalten. Und so vermutlich die Pasta-Krise lösen, frei nach der Devise: Raus mit den Touristen, Spaghetti nur für Italiener.

Etwas weniger verwirrt scheint eine Hausfrau zu sein, die hüllenlos durch die gutbesuchte Mailänder Innenstadt flaniert. Die Polizei bringt sie ins Krankenhaus. Ob sie dort die gleichen Pillen bekommt, wie die erwähnten Politiker, ist nicht mehr zu belegen.

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