Italien:Pailletten und Panzer

Lesezeit: 2 Min.

Tänzer beim Musikfestival von Sanremo im Jahr 2015. (Foto: Ettore Ferrari/dpa)

Italiens Staatsfernsehen will am Schlussabend des berühmten Musikfestivals von Sanremo eine Videobotschaft von Wolodimir Selenskij aus Kiew abspielen. Nun regt sich Widerstand.

Von Oliver Meiler, Rom

Passt das zusammen: Tänzchen, Liedchen, Pailletten und der Krieg in der Ukraine? Vor dem Musikfestival von Sanremo, der großen Kirmes der Canzone Italiana, wird in Italien gerade viel diskutiert über einen Programmpunkt am Schlussabend, Samstag, 11. Februar. Kurz nach Mitternacht und noch vor Bekanntgabe des Siegers 2023 wird nämlich Wolodimir Selenskij zu den wohl zwölf, dreizehn Millionen Italienern reden. So viele schalten am fünften Tag, dem Tag des Finales, jeweils zu. Zwei Minuten aus Kiew, vorab aufgenommen. Offenbar lässt der Staatssender Rai Uno noch offen, wann genau er die Videobotschaft platzieren will. Es müsse irgendwie passen, heißt es. Aber passt das je?

Die Meinungen gehen da auseinander, obschon der Auftritt so außergewöhnlich gar nicht ist: Selenskij trat ja schon bei den Filmfestivals von Venedig und Cannes auf und neulich bei der Verleihung der Golden Globes. Aber Sanremo?

Es hat sich, wie einige italienische Zeitungen es nennen, eine politische "Front" gebildet gegen den Auftritt von Selenskij. Der prominenteste Kritiker von allen ist Matteo Salvini, Italiens rechtspopulistischer Vizepremier. "Selenskij?", sagte er in einer Fernsehsendung auf La 7 mit ironischem Unterton: "Ich weiß nicht, wie der singt, aber ich habe andere Vorlieben." Er meinte wohl musikalische. Sanremo müsse einfach Sanremo bleiben, schickte er noch nach, ein "Moment mit Krieg und Toten" passe nicht ins Festival. Dazu muss man wissen, dass Salvini sich früher gerne mit T-Shirts in der Öffentlichkeit zeigte, auf denen Wladimir Putins Kopf gedruckt war. Er war immer ein Fan gewesen. Nun stimmt seine Partei, die Lega, im Parlament immer für die Unterstützung der Ukraine. Nur Sanremo ist offenbar ein bisschen sehr heikel.

Der Musikwettbewerb in der ligurischen Stadt Sanremo wurde 1951 ins Leben gerufen. 1984 trat hier ein noch sehr junger Eros Ramazzotti auf. (Foto: imago stock/imago/Leemage)

Aber auch von ganz links gibt es Widerstand gegen den Einspieler von Selenskij. Eine Gruppe von Intellektuellen um den Fernsehmann Carlo Freccero und den Karikaturisten Vauro Senesi haben ein Manifest aufgesetzt. Darin heißt es, es könne nicht sein, dass der "Staatschef eines der beiden Länder, die am blutigen Krieg im Donbass beteiligt sind", in dem Festival zu Wort komme. Das hört sich fast so an, als wäre alles okay, wenn auch der Staatschef des anderen Landes, also Putin, seine zwei Minuten erhalten würde. Auf Rai Uno, kurz vor der Finalissima, tscha-tscha-tscha.

Der Sender bleibt bei seinem Plan. Und so haben die Unterzeichner des Manifests jetzt vor, am Schlussabend zu protestieren - vor dem Teatro Ariston in Sanremo.

Es ist eben auch bei dieser 73. Austragung des Festivals wie immer: Wenn der Februar jeweils näherkommt und mit ihm die wichtigste volkstümliche Veranstaltung des Landes, dann geht die Maschine der Polemiken an, wie von wundersamer Regiehand angeknipst. Und läuft dann wochenlang. Die Diskussionen zerren auch die Zögernden vor den Fernseher, wer will schon nicht mitreden können? Man streitet schon auch mal über Musik, da gehen die Geschmäcker bekanntlich auseinander. Aber öfter noch streitet man über Politik, die große und die kleine, je nachdem, was die Macher und Moderatoren des Festivals mit gezielt eingeladenen Gästen und viel pädagogischem Sinn thematisch aufwerfen: Sexismus, Gewalt gegen Frauen, Rassismus, wichtige gesellschaftliche Fragen.

"Sanremo" ist eben mehr als eine große, unerhört langlebige, glitzernde Musikshow mit Pailletten, viel nackter Haut und jedes Jahr mehr Tattoos. Nie erreicht man in Italien mehr Menschen als während der unendlich langen Festivalwoche, manchmal übertrifft die Einschaltquote sechzig Prozent. Eine fantastische Bühne ist das, für Sänger und Politiker. Und darum hat Wolodimir Selenskij bei Rai Uno angefragt, ob er vielleicht kurz zu Italien sprechen dürfe, zwei Minuten. Passt ganz gut.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusErbstreit
:"La Lollo" und die Geier

Ob die Schauspielerin Gina Lollobrigida zehn Millionen Euro hinterlässt oder noch mehr, ist nicht ganz klar. Vier Männer streiten schon. Und das Testament dürfte ihrem Sohn nicht gefallen.

Von Oliver Meiler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: