Seborga:Das kleinste Fürstentum Europas

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Marcello Menegatto und seine Frau Nina herrschen als Fürstenpaar über das Dorf Seborga, das unabhängig von Italien sein will. (Foto: Erik Messori)

Nina I. und Marcello I. herrschen über ein vierzehn Quadratkilometer großes Dorf in Norditalien, das ähnlich wie Katalonien seine Unabhängigkeit anstrebt. Die Einwohner berufen sich dabei auf die Erkenntnisse eines Blumenzüchters.

Von Benedikt Peters

Zu Beginn der Audienz gibt sich die Fürstin reserviert. Sie wisse schon, sagt sie, es klinge wie eine lustige Geschichte. Sie hält einen Moment inne. "Aber es ist uns ernst. Wir sind nicht verrückt. Und wir haben noch viel vor."

Die Frau, die da spricht, heißt eigentlich Nina Menegatto, geborene Döbler. Für ihre Untertanen aber ist sie Fürstin Nina I. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Marcello Menegatto (er nennt sich Marcello I. und trägt den Beinamen "Seine Ungeheuerlichkeit") herrscht sie über vierzehn Quadratkilometer im norditalienischen Ligurien, kurz hinter der Grenze zu Frankreich. Auf einer Anhöhe etwa 500 Meter über dem Meeresspiegel, zwischen Pinien und Ginsterbüschen, erhebt sich hier das Fürstentum Seborga. Ein paar Häuser mit hellen Fassaden und roten Ziegeldächern, die sich eng aneinanderschmiegen.

Ein Blumenzüchter kam darauf, dass Seborga niemals Teil von Italien war

"Herrschen" ist in Seborga allerdings ein relativer Begriff. Offiziell hat in dem Bergdorf selbstverständlich der italienische Staat das Sagen. Die "Seborghini", wie sich die Einwohner nennen, müssen Steuern an den Fiskus in Rom zahlen und italienische Nummernschilder an ihren Autos anbringen. Die meisten Dorfbewohner - und allen voran das Fürstenpaar - finden aber, dass sie diese Dinge zu Unrecht tun müssen. Seborga gehört eigentlich gar nicht zu Italien, davon sind sie überzeugt. Weil es dereinst schlicht vergessen wurde. "Wir sind unabhängig", sagt Fürstin Nina. "Dafür gibt es Belege."

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Seborga hat 320 Einwohner und liegt auf einer Anhöhe etwa 500 Meter über dem Meeresspiegel.

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Pompöse Feierlichkeiten unterstreichen den Anspruch des Dorfs auf Unabhängigkeit.

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An vielen Häuserfassaden hängt das Wappen des Fürstentums.

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Es gibt auch eine eigene Währung, den "Luigino".

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Und eine Krone für die Herrscher.

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Die Einwohner sind stolz auf ihre Tradition.

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Sie sehen sich nicht als Italiener, allerdings besitzen ihre eigens erstellten Dokumente keine Gültigkeit.

Alles begann in den Sechzigerjahren. Giorgio Carbone, ein Blumenzüchter, vertiefte sich damals in die Dorfhistorie. Er will dabei herausgefunden haben, dass Seborga offiziell nie der italienischen Staatsmacht unterstellt worden ist: Der Kaufvertrag, mit dem das Fürstentum im 18. Jahrhundert an das damalige Herrscherhaus Savoyen habe verkauft werden sollen, sei nie registriert worden und daher unwirksam. Später sei das Fürstentum schlicht vergessen worden. Es werde weder im Vertrag zur Gründung des italienischen Staates 1861 erwähnt, noch in jenem zur Gründung der italienischen Republik 1946. Seine Erkenntnisse verkündete der Hobbyhistoriker den Dorfbewohnern - die ihn begeistert zu ihrem Fürsten wählten.

2009 allerdings starb Giorgio, das Dorf brauchte also einen neuen Herrscher. Marcello Menegatto, ein reicher Bauunternehmer, gewann die Wahl, und damit wurde seine Frau Nina, die aus Kempten im Allgäu stammt, zur Fürstin. Nebenbei ernannte "Seine Ungeheuerlichkeit" die Fürstin auch zur Außenministerin. "Allerdings erst, nachdem das Volk mich gewählt hatte", sagt Nina Menegatto. Eine Ministerin von ihres Mannes Gnaden möchte sie nämlich nicht sein.

Im Geiste ihres Vorgängers wollen die beiden weiter für die Unabhängigkeit Seborgas kämpfen, die Italien nicht akzeptieren will. "Wir haben Anwälte, die an der Sache dran sind", sagt Nina Menegatto. Zur Not werde man bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen. Findet hier also ein Separatismus im Kleinformat statt, nach dem Vorbild der Katalanen und der Schotten?

Nun ja, Rom sieht dem Treiben eher gelassen zu. Es ist ja auch schön anzuschauen, welchen Kult die Seborghini um ihre vermeintliche Unabhängigkeit herum pflegen. Da ist die blaue Mützen tragende Garde, die am Wachhäuschen am Ortseingang die hereinfahrenden Autos kontrolliert, rein symbolisch natürlich. Oder der "Luigino", die Währung, die in Seborga geprägt wird und mit der man dort überall bezahlen kann. Im dem Fürsten gehörenden Souvenirshop etwa, wo es weiß-blaue Kühlschrankmagneten gibt, regionales Olivenöl - und sogar ein original seborginisches Nummernschild. "Das darf man sogar am Auto anbringen", erklärt Nina Menegatto. Es müsse allerdings zwanzig Zentimeter vom italienischen Kennzeichen entfernt angebracht werden, sonst sei das illegal.

Die Folklore und die Bemühungen um die Unabhängigkeit sind allerdings kein Selbstzweck. "Wir wollen Seborga pushen", sagt die Fürstin, "wir wollen es auf die touristische Landkarte setzen." Neben dem Souvenirshop hat das Fürstenpaar schon ein Restaurant eröffnet und einen Friseursalon. Es hat die historische Piazza im Ortskern restaurieren lassen. Als nächstes soll mit Hilfe ausländischer Investoren ein Hotel gebaut werden, mit 80 Zimmern und großem Spa-Bereich. Um das nötige Geld für solche Pläne muss sich das Paar nicht sorgen. Als Bauunternehmer hat es Fürst Marcello zu beträchtlichem Wohlstand gebracht, und Fürstin Nina führt im nahe gelegenen Monaco eine Agentur für luxuriöse Kindergeburtstage. Dort gehört ihnen auch eine Wohnung.

75 Prozent der Dorfbewohner stimmten für eine zweite Amtszeit des Fürsten

Sie versuche aber, so viel Zeit wie möglich in Seborga zu verbringen, sagt Nina Menegatto. Nicht nur wegen der Untertanen, sondern auch wegen ihrer Liebe zu Tieren. Die Menegattos leben in Seborga nicht im Regierungspalast, dort sind sie nur für ihre Amtsgeschäfte. Sie wohnen auf einem Bauernhof am Dorfrand, mit Hunden, einer Ziege und einem Schwein. Und mit neun Pferden. Die sind die große Leidenschaft der Fürstin. Die Seborghini scheinen mit ihrem Herrscherpaar rundum einverstanden zu sein.

Alle sieben Jahre muss sich der Fürst zur Abstimmung stellen, bei der letzten Wahl im April sprachen sich 75 Prozent für eine zweite Amtszeit Marcellos aus. "Wir haben uns sehr gefreut", sagt Nina, "auch wenn jetzt wieder viel Arbeit auf uns zukommt." Als Außenministerin fliegt sie immer wieder zu den Repräsentanten Seborgas in aller Welt, die allerdings keine Regierung offiziell anerkennt. Sie sitzen etwa in der Elfenbeinküste oder den USA. Auch in Deutschland gibt es einen Vertreter des Fürstentums. Seine Repräsentanz liegt im Münchner Stadtteil Bogenhausen - in einem Keller.

© SZ vom 07.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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