Russland:Kaviar im Schlussverkauf

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Das Ambiente im "Jelissejewskij" mit seinen Kristalllüstern und verschnörkelten Säulen ist spektakulär und ein beliebtes Fotomotiv bei Touristen. (Foto: Sergei Fadeichev/imago images/Itar-Tass)

Das Delikatessengeschäft "Jelissejewskij" war in Moskau 120 Jahre lang eine Instanz für alle, die es sich leisten konnten. Nun muss der Laden schließen, unter anderem, weil Feinkost einfach zu populär geworden ist.

Von Frank Nienhuysen

Stau hat es am "Jelissejewskij" schon immer gegeben. Er war nur weniger deprimierend als heute. Anfang des 20. Jahrhunderts standen edle Pferdedroschken in langer Wartereihe, Pförtner riefen Kutscher um Kutscher heran und halfen den Damen und Herren in Zobel- und Biberpelzen nach dem Kaufrausch beim Einladen. Am 5. Februar 1901 hatte sich das Leben im geschäftigen Moskau verändert. Jedenfalls für jene, die sich schon im zaristischen Russland Weine aus ferner Welt leisten konnten, Beluga-Kaviar, frische Langusten, exotische Obstpyramiden und Käse aus Holland. Es war der Tag, an dem das Delikatessengeschäft "Jelissejewskij Magasin" öffnete, in üppigem Neobarock, an der zentralen, damals noch von Müßiggang geprägten Twerskaja-Straße in der Nähe des Kremls gelegen. "In dieses Geschäft kamen die Menschen nicht, sie fuhren hierher", schrieb der Schriftsteller Wladimir Giljarowskij.

Kurz nach dem Kleinod in Moskau eröffnete der Kaufmann Grigorij Jelissejew in Sankt Petersburg ein weiteres Delikatessengeschäft, und es ist erstaunlich, wie sich ein exquisiter, aber doch recht kleiner Laden derart tapfer durch die Volten der Geschichte retten konnte: Russische Revolution, Kommunismus, Krieg, der Zerfall der Sowjetunion, die Wirren der Neunziger, die Wiederkehr des Kapitalismus im neuen Russland. Das Jelissejewskij gibt es trotz entbehrungsreicher Epochen und radikaler Neuerungen noch immer.

Nichts kaufen, nur Fotos machen

In den vergangenen Tagen und Wochen aber leerten sich die Regale, und Nachschub gibt es nicht. Viele Menschen, die derzeit noch ins Geschäft kommen, wollen auch gar nicht mehr einkaufen. Sondern Fotos machen von dem ungewöhnlichen Inneren, den prachtvollen Säulen, bogenreichen Wänden und üppigen Kristalllüstern über der Fleischtheke. Sie wollen Erinnerungen festhalten, solange es noch geht. Ein paar Tage also. Denn am Sonntag schließt in Moskau das Jelissejewskij. Nach 120 Jahren. Fürs Erste. Schon das ist eine Zäsur.

Früher stauten sich in der Twerskaja-Straße die Droschken, um die Einkäufe der feinen Damen und Herren einzuladen. Die Zeiten sind lange vorbei. (Foto: Konstantin Kokoshkin /imago/Russian Look)

Selbst in den schwierigsten Epochen hat das Geschäft seine Besonderheit bewahrt. Die Kommunisten verstaatlichten das Jelissejewskij, benannten es einfallslos um in "Gastronom Nr. 1" und nahmen den üppigen Lüstern das Kristallgehänge ab, das für sie offenbar ein baumelndes Symbol von Dekadenz war. Aber es gab dort für Privilegierte weiterhin Lachs oder Kaviar zu kaufen, während in den übrigen Moskauer Läden Menschen Schlange standen für Brot und Hühnchenfleisch.

Feinkost gibt es inzwischen sogar im Supermarkt

Es war nicht immer alles gerecht, aber doch immerhin einzigartig. Dies hat sich geändert. Schon seit Jahren ist das Angebot im Jelissejewskij keine elitäre Nische mehr. In jeder der vielen Moskauer Malls gibt es teure Feinkostgeschäfte und elegante Patisserien. Anspruchsvolle Supermarktketten wie das gehobene "Asbuka Wkusa" (Alphabet des Geschmacks) ziehen sich durch die russische Hauptstadt, und viele Moskauer Restaurants sind gefüllt mit gastronomischer Exotik und prachtvoller Innenausstattung. Die Konkurrenz ist also enorm für das traditionsreiche "Jelissejewskij Magasin".

Zur treuen Kundschaft gehörten in den vergangenen Dekaden ausländische Touristen. Doch seit einem Jahr ist Pandemie, und nach russischen Medienberichten beschleunigte auch noch ein schwer durchschaubares Rechtsproblem die bevorstehende Schließung. Die Zeitung RBK berichtet, es kollidierten Eigentumsansprüche der Stadt Moskau und des Unternehmens "Jelissejewskij Magasin", das sich demnach laut einem Gerichtsurteil als "faktischen Eigentümer" sieht.

Die Moskauer Stadtbehörden stehen nun unter Druck, denn sie haben sich selber in die Pflicht genommen und vor wenigen Tagen zugesichert, das Jelissejewskij erhalten zu wollen. Die russische Nachrichtenagentur Interfax zitierte einen Behördenvertreter, nach dem das legendäre Geschäft "eines der Symbole und Visitenkarten Moskaus" sei. Im Laufe dieses Jahres werde man einen Vertrag unterzeichnen, der unabhängig von Eigentümer und Nutzung "zum Erhalt des Kulturerbes der Stadt Moskau" verpflichte. Nicht das Geschäftsmodell, aber die Kulisse steht damit praktisch unter Denkmalschutz.

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