Chemieunfall in der Normandie:In manchen Vierteln hängt noch immer der Geruch von Verfaultem

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Ein Demonstrant hält eine Rauchgranate in die Luft - als Symbol für die Schlackewolke, die nach dem Brand einer Chemiefabrik entstanden war. (Foto: AFP)

Nach der Umweltkatastrophe durch den Brand einer Chemiefabrik in Rouen fürchten die Bürger um ihre Gesundheit - und fühlen sich von Frankreichs Regierung getäuscht.

Von Leo Klimm, Paris

Rouen soll zur Normalität zurückkehren. "Die Gerüche waren lästig, störend, ja sogar beängstigend", sagt der Präfekt, der höchste Vertreter des französischen Staates in der Hauptstadt der Normandie. Er spricht in der Vergangenheit, als sei die Sache ausgestanden. Schulen und Kindergärten haben ja auch längst wieder geöffnet. "Wir stellen signifikante Verbesserungen fest", beteuert Pierre-André Durand, der Präfekt. Dabei klagen mehr als eine Woche nach dem Brand einer Chemiefabrik, bei der 5253 Tonnen teils hochgiftige Substanzen in Flammen aufgingen, weiter viele Menschen über Kopfschmerz und Übelkeit. In manchen Vierteln von Rouen hängt noch immer der Geruch von Verfaultem, sagen Anwohner.

Die dichte Rauchwolke, aus der schwarze Schlacke herabgeregnet war, mag abgezogen sein nach Nordosten, wo sie noch Hunderte Kilometer entfernt Spuren hinterließ. Doch die Zweifel und die Fragen zum Ausmaß der Gesundheitsgefahren sind geblieben - und sie werden lauter. Von Normalität kann rund um Rouen, einen Ballungsraum mit 500 000 Einwohnern, keine Rede sein.

Und so entwickelt sich die Umweltkatastrophe, ausgelöst durch den Großbrand einer Fabrik des US-Konzerns Lubrizol am 26. September, zum Lehrbeispiel für wachsendes Misstrauen von Bürgern gegenüber Politik und Behörden in westlichen Ländern. "Wir wollen die Wahrheit!", skandieren die Demonstranten, die sich über Facebook-Gruppen organisieren. Dreimal binnen einer Woche sind sie auf die Straße gegangen. Im Netz kursieren Videos von schwarzem Wasser, das angeblich aus manchen Leitungen der Stadt austritt.

Die Katastrophe ist auch eine wirtschaftliche

Die Regierung in Paris und Durand haben mit missglückter Krisenkommunikation das Misstrauen genährt. Zuerst beschwichtigten sie nur, obwohl detaillierte Untersuchungsergebnisse zur Belastung von Luft, Wasser und Nahrungsmitteln noch gar nicht vorlagen. Mitte dieser Woche dann räumte Premierminister Édouard Philippe ein: "Wir wissen noch nicht alles." Er spricht selbst von einer "Katastrophe". Es ist auch eine wirtschaftliche. 1800 Bauern aus Nordfrankreich wurde der Verkauf ihrer Produkte untersagt. "Tatsächlich weiß niemand, was die verbrannten Substanzen ergeben, wenn sie sich im Feuer verbinden", räumt das Gesundheitsministerium ein. Bei dem Brand entstand ein giftiger Cocktail aus diversen Zusätzen für Motorenöl und Industriefarben. Unbekannt ist auch, wie viel Gift in die Seine gelaufen ist, die an der Fabrik vorbeiführt.

Am Dienstag veröffentlichte der Präfekt ein Tausende Seiten starkes Dokument, das alle vor dem Feuer auf dem Fabrikgelände gelagerten Chemikalien auflistet. Doch dieser Versuch, Transparenz zu schaffen, war eher kontraproduktiv. Die vielen aufgeführten Gefahrencodes beruhigen nicht gerade: "H350" steht da etwa und es heißt: "kann Krebs erregen". Erste Analysen eines staatlichen Instituts bestätigen inzwischen, dass bei dem Brand toxische Dioxine ausgetreten sind. Vertiefende Untersuchungen seien nötig. Darauf wollen sich lokale Umweltgruppen nicht verlassen. Über Crowdfunding finanzieren sie lieber selbst unabhängige Proben. Die Regierung versichert, Lubrizol werde zur Rechenschaft gezogen. Allerdings ist die Brandursache unklar. Der Konzern behauptet, das Feuer sei von außen auf das Gelände übergesprungen. In der abgefackelten Fabrik wird jetzt giftiger Schlamm abgepumpt. Ursprünglich sollte das bis zum Wochenende dauern. Doch Durand muss sich korrigieren: "Es wird noch mehrere Wochen benötigen."

Nichts ist ausgestanden - das zeigt sich schon daran, dass jetzt der französische Präsident Emmanuel Macron einen Besuch in Rouen angekündigt hat.

© SZ vom 05.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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