Roman Polanski ist frei:Aus dem Chalet in die Freiheit

Lesezeit: 4 min

Die Schweizer Regierung geht bei der Auslegung internationaler Haftbefehle neue Wege und wird den Filmemacher Roman Polanski nicht ausliefern. Die Begründung sorgt in den USA für Empörung und dürfte politische Konsequenzen haben.

Cathrin Kahlweit

Um halb zwölf am Montagmittag war Roman Polanski ein freier Mann - frei, sein Chalet in Gstaad zu verlassen, wo er ein halbes Jahr unter Hausarrest gestanden hatte, frei auszureisen, wohin auch immer er wollte. Die Fußfessel hatte man ihm abgenommen, die den Behörden melden sollte, ob der Regisseur einen Fluchtversuch macht. Gut möglich, sagte am frühen Nachmittag auf einer Pressekonferenz in Bern die Schweizer Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf, sehr gut möglich, dass Polanski schon auf dem Weg nach Frankreich, nach Paris sei, wo er seinen Hauptwohnsitz hat.

Die Schweizer Regierung will ihn nicht ausliefern. Roman Polanski atmet auf, die USA sind verärgert. (Foto: ag.ddp)

Die Entscheidung der Schweizer Behörden, den polnisch-französischen Regisseur nicht an die USA auszuliefern, kam nach zehn Monaten juristischen Tauziehens wie ein Donnerschlag. Im September 2009 war der Künstler bei der Einreise in die Schweiz aufgrund eines Interpol-Haftbefehls festgenommen worden. Monatelang hatten die Anwälte Polanskis dies- und jenseits des Atlantiks gegen eine Auslieferung in die USA gekämpft, hatten zwei Haftbeschwerden eingereicht und in Los Angeles versucht, ein Verfahren in Abwesenheit zu erreichen, vergeblich. Nun machte die Schweiz mit einer furiosen Entscheidung dem Gezerre ein Ende - und mit einer furiosen Erklärung. Die lautet im Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagten.

Widmer-Schlumpf begründete das Nein zur Auslieferung am frühen Nachmittag vor der presse in Bern. Ja, Polanski habe sich 1977 in den USA des sexuellen Missbrauchs einer 13-Jährigen schuldig gemacht und schuldig bekannt, sie selbst wolle aber weder die verwerfliche Straftat noch das Strafmaß beurteilen. Allerdings sei es nicht gelungen, alle Zweifel daran auszuräumen, ob Polanski seine Strafe damals vollständig abgesessen oder eben nicht abgesessen habe; sollte er seine "unbedingte Strafe ganz verbüßt haben", sei aber "der Anlass für das Auslieferungsbegehren der USA hinfällig".

Polanski war damals vom kalifornischen Richter Laurence Rittenband zu einer mehrmonatigen Behandlung in einer psychiatrischen Klinik verurteilt worden; nach 42 Tagen durfte er die Einrichtung verlassen und floh dann aus dem Land, weil ein anderer Richter, Robert Gunson, im Anschluss an seinen Klinikaufenthalt statt einer Bewährungsstrafe ein höheres Strafmaß festsetzen wollte. So haben es Polanskis Anwälte immer wieder dargelegt - und so soll es auch Richter Roger Gunson in einer Vernehmung im Februar dieses Jahres bestätigt haben. Das Protokoll eben dieser Vernehmung Gunsons aber verweigerten die kalifornischen Behörden der Schweizer Justiz zur Einsicht. Deshalb kam diese zu dem Ergebnis: Wenn wir nicht genau prüfen können, ob Polanski tatsächlich nur einen Teil seiner Strafe oder aber vielleicht doch die ganze Strafe abgesessen hat, dann liefern wir nicht aus.

"Das ist doch keine Formfrage"

Polanskis Unterstützer jubilierten; sein Freund, der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy, ließ wissen, endlich habe die Schweizer Justiz "ihren gesunden Menschenverstand wiedergefunden". Polanski selbst bedankte sich über seinen Anwalt bei allen, die ihm beigestanden haben.

Die USA hingegen ragierten äußerst verärgert. "Wir sind enttäuscht", sagte Außenamtssprecher Philip Crowley in Washington. Polanski werde eines schweren Verbrechens beschuldigt, auf dessen Aufklärung die US-Justiz weiter drängen werde. "Die Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens durch einen Erwachsenen, der es besser wissen sollte, ist ein Verbrechen", sagte Crowley. "Von diesem Fall geht ein wichtiges Signal aus, wie Mädchen und Frauen rund um die Welt behandelt werden sollen."

Dass die Schweiz das Auslieferungsgesuch wegen eines fehlenden Dokuments abgewiesen habe, dafür habe er kein Verständnis. "Ich bitte Sie", sagte der Sprecher. "Ein 13-jähriges Mädchen wurde von einem Erwachsenen vergewaltigt. Das ist doch keine Formfrage."

Widmer-Schlumpf, die eine solche Reaktion vermutlich erwartet hat, gab sich in Bern kämpferisch und betonte mehrmals, sie stehe hinter dieser Entscheidung. Nicht alles, was Polanski geltend gemacht habe, könne falsch sein, und sie halte es auch für irrelevant, ob Polanski sich öffentlich für seine Tat von damals entschuldigt habe - viel wesentlicher sei doch, ob und wie er mit dem damaligen Opfer verfahren sei und ob er sich mit diesem ausgesprochen habe.

Viel wichtiger als die prozessualen Details im Fall des Künstlers aber waren der Ministerin offenbar noch ganz andere Fragen. Es gehe hier auch um den Vertrauensschutz, den der Einzelne vom Staat erwarten könne - Polanski, der seit vielen Jahren regelmäßig in die Schweiz eingereist sei und sich hier sicher gefühlt habe, habe ein Handeln nach Treu und Glauben erwarten können, wie es die ordre public, also die gemeinschaftliche Rechtsauffassung der westlichen Staaten vorsehe. "Völkerrechtliche Verträge sind nicht nur nach dem Wortlaut, sondern ihrem Sinn gemäß zu interpretieren", heißt es dazu spitz in der Presseerklärung des Ministeriums, und die Ministerin interpretierte das so: "Man kann Recht und Politik nie ganz trennen. Man muss schauen, dass man eine politische Lösung findet, die rechtmäßig einwandfrei ist, und nicht eine, die nur technisch rechtlich in Ordnung ist." Die Botschaft dahinter: Nur weil die USA einen Auslieferungsantrag stellen, müssen wir nicht auf die inhaltliche Prüfung verzichten. In diesem Fall, so der Subtext der Ministerin, sei die Begründung der USA nicht gut genug gewesen.

Diese Einschätzung hatte auch politische Konsequenzen: Kurz nach der Verhaftung von Polanski hat die Schweiz offenbar ihr Prozedere für die Ausführung von internationalen Haftbefehlen geändert. Widmer-Schlumpf gab an, sie habe schlicht nicht gewusst, dass ein juristischer Sachbearbeiter anhand der Papierform entscheide, ob einem Haftbefehl Folge geleistet werde. Mittlerweile müsse ein solches Gesuch auch "inhaltlich" geprüft werden.

Auf die erstaunte Frage eines Reporters, ob das quasi eine Lex Polanski sei, sagte Widmer-Schlumpf: "Der Fall Polanski war der Auslöser dafür, dass das Verfahren geändert wurde." Und betonte dann, auch, wenn ein Herr Müller oder Schulze in eine Situation gekommen wäre, wie sie nun der berühmte Regisseur erlitt, "hätten wir das Gleiche gemacht".

Fußtritt für die Amerikaner

Ob nun auch der internationale Haftbefehl außer Kraft gesetzt werde für Polanski, das konnte sie nicht sagen, das müssten die Amerikaner entscheiden. Sollte Roman Polanski sich demnächst entscheiden, wieder in die Schweiz zu kommen, könne er jedenfalls sicher sei, dass er in Ruhe seiner Arbeit nachgehen oder in seinem Chalet ausruhen kann. Auch diese Entwicklung ist ein Fußtritt für die Amerikaner. Diese hatten zunehmend irritiert darauf reagiert, dass die Schweiz genüsslich die Gründe für das Auslieferungsersuchen prüften; einzig eine administrative und technische Prüfung sei erlaubt - dieser Auslegungsstreit dürfte nun auch in anderen, politisch und diplomatisch diffizilen Fällen weitergehen.

In der Frage einer Haftentschädigung ist die Schweizer Justiz zuversichtlich: Das Verfahren habe ja auch deshalb so lange gedauert, weil Polanski selbst sich nicht habe ausliefern lassen wollen. Also sei er mitverantwortlich für den zehnmonatigen Zwangsaufenthalt in der schönen Schweiz.

© SZ vom 13.7.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: