Rhein-Neckar-Kreis:Rehkitz-Prozess: Geldstrafe und Freisprüche

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Ein Rehkitz liegt am frühen Morgen in einer Wiese. (Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB)

Rehkitze sind gerade in den ersten Lebenstagen unendlich hilflos. In Wiesen werden sie oft Opfer von Mähfahrzeugen. Vier Männer sollen gemäht haben, obwohl sie um die Rehbabys wussten - das Gericht sah das anders.

Direkt aus dem dpa-Newskanal: Dieser Text wurde automatisch von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) übernommen und von der SZ-Redaktion nicht bearbeitet.

Weinheim (dpa) - Drei Rehkitze kommen bei einer Mähaktion blutig ums Leben - ein Mann ist deswegen am Dienstag vor dem Amtsgericht Weinheim zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Richterin befand ihn der „vorsätzlichen Tötung von Wirbeltieren“ für schuldig. Nach ihrer Überzeugung hatte er die Informationen darüber, dass sich hilflose Rehbabys in den Wiesen in Laudenbach (Rhein-Neckar-Kreis) befunden hatten, nicht weitergegeben. Der 35-Jährige, einer der Pächter der Wiesen, muss 70 Tagessätze à 50 Euro zahlen. Drei Mitangeklagte wurden vom Vorwurf der rohen Tiermisshandlung freigesprochen. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Zwei der Männer hatten die beiden Wiesen im Juni 2021 gemäht und bestritten am Dienstag vehement, von den Kitzen gewusste zu haben - sehr glaubhaft, sagte die Richterin in der Urteilsbegründung und sprach die 54 und 31 Jahre alten Männer frei. Die beiden seien selbst in der Rehkitzrettung aktiv und hätten zudem keinen Grund gehabt, dem nun verurteilten Pächter nicht zu glauben. Dieser hatte den Männern lediglich von zwei erwachsenen Rehen berichtet, die die vorher hinzugerufene Rehkitzrettung in den Feldern entdeckt hatte. Dann habe er gesagt: „Ihr könnt mähen.“

Auch ein 64-Jähriger, der Vater des 35-Jährigen, blieb straffrei. Ihm war zu Last gelegt worden, die drei schwer verletzten Kitze abends nach dem Ende der Mäharbeiten erschlagen zu haben. Beweise dafür fanden sich nicht. Die vermeintliche Tat war von niemandem beobachtet worden. Zeugen hatten lediglich gehört, wie der Sohn gesagt hatte, der Vater habe drei Kitze „totgemacht“.

Die Richterin betonte, dass die Kitze ohne Not gestorben seien. Die vom verurteilten 35-Jährigen selbst beauftragte Rehkitzrettung Weinheim habe die Wiesen abgesucht und eindringlich vor dem Mähen gewarnt, nachdem neben erwachsenen Rehen auch bis zu fünf Kitze darin entdeckt worden waren. Die Mähaktion hätte problemlos verschoben werden können - zumal die Rehkitzretter auch angeboten hatten, bei der Rettung der Kitze zu helfen und abends nochmals das Feld abzusuchen. Warum der Mann auf „Teufel komm' raus“ noch am gleichen Tag habe mähen lassen wollen, sei nicht nachvollziehbar.

Den Mähern muss sich ein verstörender und schlimmer Anblick geboten haben. Mitten in den Mäharbeiten hatten ihre Maschinen die kleinen Kitze erfasst - eins auf der einen Wiese und zwei auf der anderen. Die Tiere seien blutüberströmt und schon tot gewesen und dann von ihnen am Rand abgelegt worden, sagten sie. Ob die Tiere tatsächlich sofort tot waren oder später von dem 64-Jährigen erschlagen wurden, ließ sich nicht klären. Ein am nächsten Tag hinzugerufener Jagdpächter konnte die Tierkadaver nicht mehr bergen. Sie seien verschwunden gewesen und mutmaßlich von Raubtieren wie einem Fuchs gefressen worden.

Das Verfahren war geprägt von Ungereimtheiten und Erinnerungslücken. Vor allem der 35-Jährige konnte sich an wenig erinnern. Er hatte dem Mähteam gesagt, er werde sich „kümmern“. Stattdessen hatte er den Jagdpächter nicht am gleichen Tag vorschriftsgemäß informiert, als ihm von den toten Kitzen berichtet wurde.

Zur Gerichtsverhandlung kam es, weil alle Angeklagten die zuvor von der Staatsanwaltschaft verhängten Strafbefehle nicht akzeptiert hatten. Die Männer hätten je nach Einkommen zwischen 4500 und 10 000 Euro zahlen müssen und dann dagegen Einspruch eingelegt.

Im vorliegenden Fall hatten Mitglieder der Rehkitzrettung Weinheim die Wiese schon frühmorgens abgesucht, die darin entdeckten Kitze aber nicht sofort bergen können, berichtete Michael Ehlers von der Rehkitzrettung. Da das Feld an einer Autobahn liege, sei die Gefahr zu groß gewesen, dass aufgescheuchte Rehe einen Unfall verursachen.

Stattdessen habe man den Landwirt informiert und ihm angeboten, mit der Menschenkette vor ihm her zu laufen oder alternativ die Wiese abends nochmals abzusuchen. Darauf sei der 35-Jährige nicht eingegangen. Später hätten die Retter dann von dem traurigen Vorfall erfahren. Ehlers, der in dem Prozess als Zeuge aussagte, hatte wenige Tage später Anzeige erstattet. Vom Ausgang der Prozesses zeigte er sich enttäuscht. Aus seiner Sicht hätten alle Beteiligten verantwortungslos gehandelt.

Wenige Tage alte Rehkitze haben noch keinen Fluchtinstinkt und drücken sich bei Gefahr bewegungslos auf den Boden. Auch wenn der Fluchtinstinkt etwas später dann einsetzt, können sie nicht schnell genug vor Mähfahrzeugen fliehen, sagte Ehlers. In der Region hatte der Vorfall für großes Aufsehen und auch für Anfeindungen gesorgt. Bis auf den verurteilten 35-Jährigen äußerten alle Angeklagten im Schlusswort großes Bedauern. „Wir hätten nie gemäht, wenn wir von den Kitzen gewusst hätten“, sagte der 31-Jährige.

Laut der Deutschen Wildtierstiftung sterben Jahr für Jahr Tausende Kitze unter Mähmaschinen. Genauere Zahlen gebe es nicht, da Landwirte solche Vorfälle oftmals nicht meldeten, so Sprecher Andreas Kinser. Allerdings sinken die Zahlen seinen Worten zufolge: Die Bauern zeigten mehr Verständnis, außerdem seien die Techniken, Kitze in Wiesen zu entdecken, dank der Drohnen sehr präzise.

Bundesweit gibt es mittlerweile zahlreiche Rehkitzretter-Initiativen, bei denen sich hunderte Ehrenamtliche engagieren, so Kinser. Immer wieder appellieren Tierschützer an die Bauern, vor der Mahd ihre Wiesen absuchen zu lassen. Mit Wärmebild-Drohnen werden die Felder dann abgeflogen. Wird ein Kitz entdeckt, ziehen die Retter ins Feld, sichern das Kitz in Körben und bringen es in Sicherheit.

© dpa-infocom, dpa:230530-99-878487/4

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