Hamburg:Tod von 20-Jähriger: Zweifel an Angaben des Angeklagten

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Eine Figur der blinden Justitia. (Foto: Sonja Wurtscheid/dpa/Symbolbild)

Im Prozess um den gewaltsamen Tod einer 20-Jährigen in Hamburg-Neuallermöhe haben Angaben von Rechtsmedizinern Zweifel an der Darstellung des Angeklagten...

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Hamburg (dpa/lno) - Im Prozess um den gewaltsamen Tod einer 20-Jährigen in Hamburg-Neuallermöhe haben Angaben von Rechtsmedizinern Zweifel an der Darstellung des Angeklagten geweckt. Dass die junge Frau in der Nacht zum 10. Januar 2021 rund zehn Stunden bei null Grad draußen verbracht haben soll und dabei keine Unterkühlung erlitten hätte, würde erstaunen, sagte einer der beiden Sachverständigen am heutigen Dienstag.

Der offiziell 24 Jahre alte Angeklagte hatte nach Angaben der Vorsitzenden Richterin, Birgit Woitas, erklärt, dass er mit der Frau am Abend gegen 18.00 oder 19.00 Uhr auf einen Spielplatz gegangen sei. Nach einvernehmlichem Sex in einem Gebüsch hätten sie noch bis 4.00 Uhr morgens auf einer Parkbank gesessen. Dann seien sie in den Keller eines Mehrfamilienhauses gegangen, wo die Frau einschlief. Erst nach 13.00 Uhr habe er gemerkt, dass sie nicht mehr atmete und die Rettungskräfte alarmiert.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem aus Libyen stammenden Angeklagten vor, die junge Frau im Fahrradkeller des Hauses, in dem sie mit ihrer Familie lebte, erstickt zu haben. Das Opfer soll vorher Drogen von dem Angeklagten erhalten und eingenommen haben. Die Staatsanwaltschaft hatte das Geschehen in ihrer Anklageschrift zunächst als Mord in Tateinheit mit Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall bewertet. Das Gericht sah dafür nach vorläufiger Bewertung aufgrund der Aktenlage jedoch nicht hinreichend Beweise. Deshalb lautet die Anklage auf Totschlag.

Möglicherweise könnte die 20-Jährige auch an einer Methadonvergiftung gestorben sein, erklärte eine Toxikologin. Es sei nicht ungewöhnlich, dass ein nicht an Opiate gewohnter Mensch erst 13 bis 16 Stunden nach der Einnahme der Droge von anderen unbemerkt im Schlaf sterbe. Die Frau war von Rettungskräften auf dem Rücken liegend gefunden worden. Sie müsse allerdings bald nach ihrem Tod noch gedreht worden sein, erklärte der Rechtsmediziner. Leichenflecken belegten, dass sie zumindest einige Zeit auf dem Bauch gelegen haben müsse.

Der Prozess wie die Ermittlungen davor hatten bereits mehrere überraschende Wendungen genommen. Der Angeklagte war nach kurzer Flucht am 10. Januar 2021 festgenommen worden und in Haft gekommen. Dann ergab die rechtsmedizinische Untersuchung, dass die Frau nicht getötet worden, sondern an den Folgen ihres Drogenkonsums gestorben sei. Dem Beschuldigten wurde daraufhin nur noch die Abgabe von Betäubungsmitteln mit Todesfolge vorgeworfen. Dann folgten die Mordanklage und die Prozesseröffnung wegen Totschlags.

Am 18. Oktober vergangenen Jahres hatte die Hauptverhandlung begonnen. Die aus der Ukraine stammenden Eltern der 20-Jährigen treten als Nebenkläger auf. Ihre Anwältin, Claudia Krüger, erklärte damals, die junge Frau aus Hamburg und der junge Mann hätten sich ein halbes Jahr vor der Tat über Facebook kennengelernt. Er soll regelrecht besessen von ihr gewesen sein: „Er wollte immer Sex mit ihr. Hat gegenüber anderen gesagt: Das ist meine Frau, die heirate ich“, berichtete Krüger. Irgendwann habe die 20-Jährige ihn bei der Polizei wegen Stalking angezeigt.

Der Angeklagte hatte über lange Zeit geschwiegen. Erst kürzlich sagte er doch aus und schilderte seine Version des Geschehens. Daraufhin lud das Gericht die Rechtsmediziner erneut als Zeugen. „Nach wie vor passt seine Einlassung nicht zum objektiven Tatbild“, sagte Krüger nach der Verhandlung am Dienstag.

Der Libyer war nach Angaben des Hamburger Senats 2016 als Asylbewerber nach Deutschland gekommen und hatte zuletzt in Sachsen gelebt. Er ist wegen Drogenhandels, unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vorbestraft.

© dpa-infocom, dpa:220328-99-706017/5

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