Prozess um Sterbehilfe:Applaus für den Arzt

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  • Ein Arzt ist vor dem Landgericht Berlin vom Vorwurf der Tötung auf Verlangen freigesprochen worden.
  • Der Mann hatte einer 44-jährigen, die unter einer chronischen Darmerkrankung litt, ein Medikament verschrieben und auch besorgt, mit dem sie sich das Leben nahm.

Von Hans Holzhaider, Berlin

Das ist ein Geräusch, das man selten hört im Strafjustizgebäude in Moabit: Spontaner, herzlicher Beifall für den Angeklagten, oder vielmehr für den jetzt nicht mehr Angeklagten. Es sind vor allem ehemalige Patientinnen und Patienten, die sich mit Christian Turowski, 68, freuen. Soeben hat ihn die 2. Strafkammer des Landgerichts Berlin vom Vorwurf der Tötung auf Verlangen freigesprochen. Der Arzt, mittlerweile im Ruhestand, hatte im Februar 2013 der 44-jährigen Anja D., die seit ihrer Jugend unter einer sehr schmerzhaften chronischen Darmerkrankung litt, ein Medikament verschrieben und auch besorgt, mit dem sie sich das Leben nahm.

Das allein hätte den Hausarzt, der die Patientin seit vielen Jahren betreute, nicht auf die Anklagebank gebracht. "Es ist unumstritten, dass die Beihilfe zum Suizid straffrei ist", sagte die Vorsitzende Richterin Bettina Sy. Die Staatsanwaltschaft legte Turowski zunächst zur Last, dass er, als Anja D. nach Einnahme des Medikaments schon im Koma lag, nichts zu ihrer Rettung unternommen habe. Im Lauf des Verfahrens modifizierte sie aber den Tatvorwurf. Nicht durch Unterlassen, sondern durch aktives Handeln habe der Arzt den Tatbestand der Tötung auf Verlangen erfüllt, indem er der schon seit zwei Tagen bewusstlosen Frau das Medikament MCP injizierte, das ein Erbrechen verhindern sollte. Außerdem habe Turowski mit der Mutter, dem Sohn und einer engen Freundin von Anja D. telefoniert und ihnen nahegelegt, keine Rettungsmaßnahmen zu veranlassen. Die Staatsanwältin hatte deshalb eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 100 Euro gefordert.

Das Gericht sah aber weder in der Verabreichung des Medikaments noch in den Telefonaten ein "den Todeseintritt förderndes aktives Tun". Die MCP-Injektion habe den Zweck verfolgt, der Patientin einen quälenden Erstickungstod durch Einatmen von Erbrochenem zu ersparen; "das fügt sich in die verabredete Begleitung des Sterbevorgangs", sagte die Richterin. Auch in den Telefonaten sah das Gericht keine "aktive Verhinderung von Rettungsmaßnahmen". Der Sohn der Verstorbenen hatte ausgesagt, es sei seine eigene Entscheidung gewesen, den Sterbewillen der Mutter zu akzeptieren.

Somit verbleibe als Tatvorwurf lediglich das ursprünglich angeklagte Unterlassen von Rettungsmaßnahmen, sagte Richterin Sy. Das aber sei keine Straftat. Ein anderslautendes Urteil des Bundesgerichtshofs von 1984 sei unter anderem durch das 2009 erlassene Patientenverfügungsgesetz überholt. "Der freie Wille des Sterbenden ist auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit zu respektieren", sagte die Richterin. Es bestehe kein Zweifel daran, dass die Selbsttötung auf einer freiverantwortlichen Entscheidung von Anja D. beruht habe. "Es kommt nicht darauf an, ob diese Entscheidung für jedermann nachvollziehbar ist."

"Mir fällt ein Stein vom Herzen", sagte Christian Turowski nach Verkündung des Freispruchs. Für ihn ist die Sache wohl trotzdem noch nicht erledigt: Die Staatsanwaltschaft will Revision einlegen, um eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs herbeizuführen.

© SZ vom 09.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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