Prozess um Mädchenmord in Emden:Ein vermeidbares Verbrechen

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Die elfjährige Lena brach mit einem Nachbarsjungen auf, um Enten zu füttern. Wenig später wird ihre Leiche in einem Parkhaus entdeckt. Nun beginnt in Emden der Prozess gegen einen 18-Jährigen mit pädophilen Neigungen, der mehrmals vor sich selbst gewarnt hatte.

Charlotte Frank

Das Grauen kam Ende März über Emden, mit den ersten Frühlingstagen des Jahres, es kam mit Ansage, aber in der Stadt taten sie nichts dagegen. Schlampten und patzten und kümmerten sich um andere Sachen. Dann war da plötzlich ein Kinderfahrrad, verwaist im Gras. Da war das Parkhaus, der Betonboden unter der Stahltreppe. Der Kinderkörper, geschunden, den sie noch versuchten wiederzubeleben. Aber Lena war tot. Missbraucht und ermordet von einem Pädophilen, der in den Monaten zuvor mehrmals vor sich selbst gewarnt hatte. Vor dem Schrecklichen, was er anzurichten in der Lage sei.

Der gewaltsame Tod der elfjährigen Lena aus Emden hat landesweit für Entsetzen gesorgt. Im Prozess treten ihre Mutter und ihr Bruder als Nebenkläger auf. Sie fordern Schadensersatz.  (Foto: dapd)

An diesem Montagmorgen, fünf Monate nach der Tat, beginnt vor dem Landgericht Aurich der Prozess gegen den 18-Jährigen. Er muss sich wegen sexuellen Missbrauchs und der Tötung des Mädchens verantworten. Außerdem wird ihm die versuchte Vergewaltigung einer Joggerin im November 2011 vorgeworfen. Lenas Mutter und ihr jüngerer Bruder treten im Prozess als Nebenkläger auf, sie fordern Schadenersatz und Schmerzensgeld vom Angeklagten. "Sie hoffen auch darauf, Antwort auf die Frage zu bekommen, ob Lena noch leben könnte", sagte der Anwalt der Familie, Bernhard Weiner, der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.

Es gibt viele, die das glauben: dass Lena noch leben könnte. Denn das Versagen der Behörden in ihrem Fall war nahezu unglaublich. Es war tödlich.

Der 24. März 2012 war ein Samstag, kühl und windig, aber nicht zu kühl und zu windig zum Entenfüttern. Gegen 17 Uhr am Nachmittag steigen die elfjährige Lena und ihr gleichaltriger Nachbarsjunge auf ihre Fahrräder, bepackt mit Tüten voller Brot, und fahren zu den Wallanlagen, einer großen Parkanlage in Emden. Keine zwei Stunden später beginnt die Suche nach Lena. Der Nachbarsjunge ist alleine nach Hause gekommen, er ist verstört gewesen, er hat Lena verloren.

Nur ein Schatten auf der Überwachungskamera

Es sind dann Lenas Eltern, die das Kinderfahrrad vor dem City Parkhaus am Wasserturm finden. Und es ist ein Parkplatzwächter, der Lena findet. Auf dem Boden, im Treppenhaus des Parkhauses. Ihr Peiniger ist geflohen, er ist zu diesem Zeitpunkt nur ein schwarzer, verwischter Schatten auf der Überwachungskamera.

Ein Kind ist tot, das alleine reicht schon, um Entsetzen zu säen und Trauer. In Emden aber sät der Mord vor allem Wut.

"Aufstand! Alle zu den Bullen. Da stürmen wir. Lass uns das Schwein tothauen." Der Facebook-Aufruf ist eindeutig. Drei Tage nach Lenas Tod hat die Polizei einen Verdächtigen präsentiert, nun ruft ein 17-Jähriger im Internet zur Selbstjustiz auf. Vor der Wache in Emden kommen etwa 45 Menschen zusammen, hinterher ist von einem Lynchmob die Rede, von Belagerung. Die Polizei bestreitet das. Dennoch: Nur drei Tage später muss sie den Verdächtigten laufen lassen, sicherheitshalber verlässt er Emden für ein paar Tage. Gegen den 17-Jährigen, der zur Selbstjustiz aufgerufen hat, werden später zwei Wochen Jugendarrest angeordnet.

In diesem Parkhhaus soll sich das Verbrechen abgespielt haben. Mit den Ausschnitten aus dem Überwachungsvideo wurde nach dem Täter gefahndet. Der mutmaßliche Täter war schon vorher auffällig geworden. (Foto: dpa)

Es ist der 31. März, genau eine Woche nach dem Verbrechen an Lena, als die Polizei erneut einen Verdächtigen präsentiert. Der 18-Jährige hat die Tat zu diesem Zeitpunkt bereits gestanden. Er und seine Familie haben auch schon vor der Gefahr gewarnt, die von ihm ausgegangen ist, seit Monaten: Bereits im Oktober 2010 hat die Mutter den damals 17-Jährigen dabei erwischt, wie er Nacktfotos von einer Siebenjährigen machte. Er begann daraufhin eine Therapie.

Im September 2011 zeigte ihn sein Stiefvater bei der Polizei in Aurich an, weil der Jugendliche angeblich kinderpornografische Videos aus dem Internet heruntergeladen haben sollte. Noch einen Monat später, im November 2011, erstattete der Jugendliche Selbstanzeige wegen pädophiler Neigungen. Noch im gleichen Monat überfiel er in den Emdener Wallanlagen eine Joggerin und versuchte, sie zu vergewaltigen. Die Polizei ordnete die versuchte Vergewaltigung nach einem DNA-Abgleich dem 18-Jährigen zu, unternahm aber ansonsten nichts.

Hausdurchsuchung nie umgesetzt

Sie ignorierte sogar, dass im Dezember das Landgericht Hannover eine Hausdurchsuchung bei dem jungen Mann ansetzt. Der Beschluss ging am 30. Dezember bei der Polizei in Aurich ein. Er wurde nie umgesetzt. Drei Monate später trifft der junge Mann in Emden Lena.

In dem Prozess vor der Jugendkammer sind elf Verhandlungstage angesetzt. An diesem Montag sollen Lenas Eltern und ein Parkplatzwächter aussagen. Und der Nachbarsjunge, mit dem sie zum Entenfüttern losgefahren war.

© SZ vom 20.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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