Prozess:Pflege-Betrug im großen Stil

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  • Vor dem Landgericht Düsseldorf wird seit Mittwoch ein Prozess um systematischen Pflegebetrug verhandelt.
  • Ambulante Pflegedienste sollen Leistungen abgerechnet haben, die sie nie erbracht haben.
  • Angeklagt sind neun Männer und Frauen im Alter zwischen 34 und 63 Jahren wegen bandenmäßigen Betrugs.

Viele der angeblich pflegebedürftigen Patienten sollen mitgespielt haben: Der Skandal um einen vermuteten millionenschweren Betrug mit Pflegeleistungen wird seit Mittwoch in Düsseldorf vor dem Landgericht verhandelt. Die Staatsanwaltschaft klagt neun Männer und Frauen im Alter zwischen 34 und 62 Jahren wegen bandenmäßigen Betrugs an. Die meisten stammen nach Gerichtsangaben aus Russland und der Ukraine.

Eine von ihnen, eine Geschäftsführerin, habe bereits ein umfassendes Geständnis abgelegt, sagte Staatsanwältin Petra Szczeponik am Mittwoch. Der Schaden wird von den Ermittlern auf mindestens 8,5 Millionen Euro beziffert. Die Angeklagten sollen bei Krankenkassen und Sozialämtern Geld für gar nicht oder nicht vollständig erbrachte Leistungen abgerechnet haben. Vier von ihnen sitzen in Untersuchungshaft.

Die überwiegend russischsprachigen Patienten hätten oft sogar mitkassiert, sagt die Staatsanwältin: Mal in Form eines monatlichen Taschengelds in dreistelliger Höhe, mal wurde ihnen ab und zu eine Putzfrau geschickt, wenn sie dafür die teuren Kompressionsstrümpfe samt regelmäßigem Anziehen durch eine Pflegekraft bestätigten. Eine andere Masche war, die angeblich von einer Pflegekraft verabreichten Medikamente von Patienten selbst einnehmen zu lassen.

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Von Thomas Hummel

Anklägerin: "Es war schon sehr organisiert"

In russischsprachigen Zeitungen seien die "Gratis-Leistungen" sogar annonciert worden, berichtete die Staatsanwältin. Hätten sich Prüfer angekündigt, sei den "Patienten" eingebläut worden, welche Leistungen sie anzugeben und angeblich ordnungsgemäß erhalten hätten. Dabei seien dann auch schon mal die Kompressionsstrümpfe angezogen worden - jedoch zum ersten Mal.

"Es war schon sehr organisiert", sagte die Anklägerin. Weil die Zahl der Pflegekräfte weit niedriger lag, als für die abgerechneten Leistungen notwendig gewesen wären, hätten die Firmen Schein-Mitarbeiter "beschäftigt", deren Leistung im Unterschreiben der Formulare bestanden habe.

Ärzte, die unnötige Maßnahmen verordneten, sollen mit den Angeklagten unter einer Decke gesteckt und ebenfalls abkassiert haben. Eine entsprechende Aussage habe sich aber bislang nicht erhärten lassen. "Von denen spricht keiner mit uns", sagte die Staatsanwältin. Dass hinter alldem russische oder ukrainische Mafiagruppen stecken, dafür hätten sich in diesem Verfahren keine Beweise gefunden.

Leidtragende seien Steuerzahler und Krankenversicherte gewesen

Um die Machenschaften vor Gericht zu bringen, waren auch verdeckte Ermittler des Landeskriminalamts im Einsatz, die sich als Investoren getarnt mit den Pflege-Chefs auf der Düsseldorfer Königsallee trafen.

Leidtragende seien die Steuerzahler und die Krankenversicherten gewesen. Bundesweit stehen 230 ambulante Pflegedienste unter Verdacht, betrügerisch abgerechnet zu haben. Nach einer früheren Schätzung des Bundeskriminalamts (BKA) könnten den Sozialkassen mindestens eine Milliarde Euro Schaden pro Jahr entstanden sein.

"Abrechnungsbetrug in der Pflege ist eine Riesensauerei", sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Mittwoch. Die Vorwürfe machten fassungslos. Die Stiftung Patientenschutz forderte eine Kronzeugenregelung für geständige Insider. Die sei überfällig, "um den Sumpf der Pflegemafia auszutrocknen". Bislang hat das Landgericht 27 Verhandlungstage bis kurz vor Weihnachten geplant.

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