Prozess in Potsdam:Gift in der Babymilch

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  • Das Landgericht Potsdam hat einen Vater jetzt zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er versucht hat, sein Baby zu vergiften.
  • Mehrfach hatte der 37-jährige Gerd S. seiner kleinen Tochter Säuren und Alkohol eingeflößt. Das Gift mischte er unter die Babymilch des Mädchens.
  • Erst nach mehreren Klinikaufenthalten fiel die Misshandlung den Ärzten auf. Eine mit Alkohol und Säure gefüllte Spritze vor dem Krankenzimmer des Kindes überführte schließlich den Vater.

Von Anne Kostrzewa, Potsdam

Für Emily, 2, war es ein Martyrium: Über Monate musste das Mädchen immer wieder Haushaltsreiniger und Desinfektionsmittel schlucken - verabreicht vom eigenen Vater. Dafür muss der 37-jährige Gerd S. nun 15 Jahre in Haft, wegen versuchten Mordes, Misshandlung Schutzbefohlener und schwerer Körperverletzung.

Das Landgericht Potsdam sieht es als erwiesen an, dass S. seiner Tochter vorsätzlich immer wieder Säuren und Alkohol eingeflößt hatte, zunächst nur, damit es ihr schlecht ging, am Ende aber in Tötungsabsicht. Der Richter sagt, es sei "eine Beleidigung des gesunden Menschenverstands", davon auszugehen, dass S. die Tat nicht begangen hat. Für den Verteidiger müsse es "eine Zumutung" gewesen sein, so einen Menschen zu verteidigen. Als der Vorsitzende Richter das Urteil verliest, starrt S. mit offenem Mund in den Raum, schüttelt fast unmerklich den Kopf. Dann sackt er auf seinen Stuhl, vergräbt das Gesicht in den Händen.

Ärzte rätselten über Emilys Zustand

Im März vergangenen Jahres hatte Gerd S. seiner damals erst acht Monate alten Tochter zum ersten Mal Desinfektionsmittel eingeflößt, zuerst in kleinen Tropfen direkt in den Mund. Dabei verätzte er dem Mädchen Zunge und Gaumen, das Baby erbrach sich, kam in die Klinik.

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Die Ärzte fanden bis zuletzt keine Erklärung für Emilys Zustand. Später mischte Gerd S. die Giftstoffe direkt in die Babymilch in Emilys Nuckelflasche. Sie erbrach sich, die Ärzte blieben ratlos. An die Giftstoffe kam Gerd S. problemlos im Drogeriemarkt.

Warum tut ein Vater so etwas?

Warum tut ein Vater so etwas? Das Gericht kam zu der Ansicht, der arbeitslose Tierpfleger habe seine Situation als "unbequem" empfunden. Emilys Mutter habe ihm Druck gemacht, einen Job zu finden. Bei ihrer Familie sei er unbeliebt gewesen. Als Emily mit einer Bronchitis ins Krankenhaus musste, habe sich dieser Zustand plötzlich geändert. Alle Aufmerksamkeit sei auf Emily gefallen, Gerd S. habe sich als fürsorglicher Vater präsentieren können. Von da an sorgte er dafür, dass sein Kind immer wieder in die Klinik musste.

Dort ging es dem Mädchen immer dann besser, wenn sein Vater nicht da war. Wann immer er mit ihr allein im Zimmer war, musste sie erbrechen. Als die Kleine nichts mehr schlucken wollte und mit einer Magensonde ernährt wurde, spritze er Säure und Alkohol direkt in den Schlauch der Sonde. Schließlich fiel Emily mit 1,3 Promille Blutalkohol ins Koma, musste künstlich beatmet werden. Sie überlebte nur knapp.

Vater suchte Anerkennung von der Familie

Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft für Gerd S. gefordert. Gerichtsmediziner Jörg Semmler, seit 40 Jahren im Amt, sagte an einem der früheren Prozesstage, ein so grausamer Fall sei ihm noch nicht untergekommen.

Einen Tag vor Emilys erstem Geburtstag, im Juli 2014, wird Gerd S. in der Klinik festgenommen. Vor Emilys Zimmer war eine Spritze gefunden worden, darin Reste einer hoch alkoholhaltigen Flüssigkeit. An der Spritze finden sich DNA-Spuren von Gerd S. Im Gericht trägt er am letzten Prozesstag denselben beigen Pullover, mit dem er damals abgeführt worden war.

Fast stoisch nimmt er zur Kenntnis, wie sein Leben vom Richter vorgetragen wird. Die leiblichen Eltern waren gewalttätig, im Heim soll sein Betreuer ihn sexuell missbraucht haben. Später zündete S. das Haus seiner Pflegeeltern an, belästigte Frauen und bekam eine Bewährungsstrafe wegen Besitzes von Kinderpornografie. Das psychologische Gutachten bescheinigt ihm, nie positive Bestätigung erfahren zu haben. Erst als er anfing, Emily zu vergiften, bekam er Anerkennung: als mutmaßlich fürsorglicher Vater.

© SZ vom 10.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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