Der Angeklagte liest von einem Blatt Papier ab. Ein rechtschaffener Bürger sei er, verheiratet, mit Reihenhaus und ehrenamtlich engagiert. Nach seiner Lehre bis zum Renteneintritt habe er immer bei derselben Firma gearbeitet. Noch nie habe er jemandem etwas zuleide getan, "ich habe in meinem ganzen Leben noch nie etwas mit der Justiz zu tun gehabt", sagt er. Der kurze Text endet mit der Versicherung: "Ich bin ein anständiger Bürger, ich bin unschuldig und hoffe auf Gerechtigkeit."
Dem 66 Jahre alten Rentner aus Ulm wird vorgeworfen, Pakete mit versteckter Sprengladung gebaut und an drei große Lebensmittelfirmen geschickt zu haben - wohl, um von ihnen Geld zu erpressen. Die Postsendungen waren so konstruiert, dass sie beim Öffnen explodierten. Mehrere Menschen wurden dadurch verletzt.
Am Mittwoch hat nun in Heidelberg der Prozess gegen den gelernten Elektriker begonnen, der schon kurz nach der Tat in den Fokus der Ermittlungen geriet.
Doch der Angeklagte, ein kleiner Mann mit grauen Haaren, die im Nacken länger sind, beteuert seine Unschuld. "Ich bin nicht die von Ihnen gesuchte Person", trägt er dem Gericht in seiner kurzen persönlichen Erklärung vor. "Ich bin nicht die Person auf den Überwachungsvideos der Postfiliale." Er finde es "grausam, wie die deutsche Justiz versucht, mit viel Aufwand und Energie mein Leben zu zerstören".
Hergestellt aus abgeschabten Streichholzköpfen
Die Staatsanwaltschaft ist jedoch davon überzeugt, dass Klaus S. für die Taten verantwortlich ist, die im Februar 2021 großes Aufsehen erregt hatten. Drei Paketbomben, die aussahen wie Büchersendungen, etwa DIN A4 groß, soll der Angeklagte am 15. Februar in seiner Heimatstadt Ulm aufgegeben haben - mit falschen Namen als Absenderinnen: Maria Schwarz, Doris Merkel, Christine Müller. Versendet wurden sie als Päckchen und waren deshalb schwer nachzuverfolgen. Den explosiven Inhalt soll Klaus S. durch das Abschaben von Zündholzköpfen gewonnen haben. Im Gerichtssaal werden Bilder von den Überresten eines Päckchens gezeigt. Man sieht ein kurzes Metallrohr, Kabel, eine Batterie und gelbe Spülschwämme.
Zwei Päckchen gingen beim Öffnen hoch, ein drittes, das länger unterwegs war und für den Babynahrungshersteller Hipp im bayerischen Pfaffenhofen an der Ilm bestimmt war, konnte die Polizei nach hektischen Recherchen mit dem Logistikunternehmen DHL im Paketverteilzentrum beim Münchner Flughafen abfangen.

Zufällige Opfer wurden Mitarbeiter, die in den Poststellen der Adressaten arbeiteten. In der Lidl-Zentrale in Neckarsulm wurde ein Mann am linken Auge, an beiden Händen und an den Oberschenkeln verletzt. Bei ihm wurde außerdem ein Knalltrauma diagnostiziert, genau wie bei zwei seiner Kollegen, die im Raum waren, als er das Paket öffnete.
Bei den Wild-Werken in Eppenheim bei Heidelberg, wo unter anderem das Getränk Capri-Sun hergestellt wird, hatte das Paket zwar nicht seine volle Explosionskraft entfaltet. Wie traumatisch der Vorfall für den betroffenen Mitarbeiter aber dennoch war, ist beim Prozessauftakt zu sehen. Der 44-jährige Mann, der seit vielen Jahren bei Wild arbeitet, ist als erster Zeuge geladen und muss erst einmal um Fassung ringen, bevor er auf Fragen des Vorsitzenden Richters antworten kann. Äußerlich kam er bei der Explosion mit leichten Verletzungen an den Händen und an der Stirn davon. Doch seit dem Vorfall könne er nicht mehr allein sein, sagt er. Nicht mehr ohne Fernseher einschlafen. Er befinde sich in psychologischer Betreuung, habe Konzentrationsschwierigkeiten und noch immer leichte Schwindelgefühle und Nackenschmerzen. "Ich bin ein ganz anderer Mensch geworden." Der Angeklagte vermeidet jeden Blickkontakt mit dem Zeugen.
Bis zu 15 Jahre Haft
Die Sonderkommission des Landeskriminalamts Baden-Württemberg und der Staatsanwaltschaft Heidelberg will Klaus S. auf den Aufnahmen einer Überwachungskamera in jener Postannahmestelle in Ulm identifiziert haben, in der die drei Pakete am 15. Februar aufgegeben worden sein sollen. Vier Tage später wurde das Haus des Rentners durchsucht und dabei Munition gefunden, die er illegal besaß.
Die Anklage wirft ihm das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, gefährliche Körperverletzung und versuchte schwere Körperverletzung vor. Das Landgericht Heidelberg hat zwölf Verhandlungstage angesetzt, im Falle einer Verurteilung könnte der Angeklagte für bis zu 15 Jahre in Haft kommen.