Prozess gegen früheren Fußballprofi Immel:Taumelnd im Strafraum

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Ob im "Dschungelcamp" oder der Nationalmannschaft: Eike Immel war immer der Stille, der sich hinten anstellte. Nun ist der Torwart, dem das Leben nach der Karriere entglitten ist, in einem Drogenprozess freigesprochen worden.

Holger Gertz, Dortmund

"Ich möchte dem Gericht danken für das intensive Führen des Termins hier": Ex-Fußballnationaltorwart Eike Immel ist in einem Drogenprozess freigesprochen worden. (Foto: dapd)

Torwarthände sind malträtierte Pranken, gebrochene und zusammengeflickte Finger werden auch dann nicht gerade, wenn der Torwart längst kein Torwart mehr ist. Um es mit etwas Pathos auszukleiden: Die Hände eines Torwarts tragen die Spuren der Schlacht.

Eike Immel ist schon lange kein Torwart mehr, und seine Hände verraten nicht, dass er mal einer war. Eher fein geschnitten sind sie, man kann das gut sehen an diesem Vormittag im Dortmunder Amtsgericht. Immels Finger arbeiten. Sie streichen übers Kinn, zupfen am rechten Ohrläppchen, am linken Ohrläppchen, wischen über Nasenflügel, kontrollieren den Sitz der Augenbrauen.

Im Sitzungssaal 1201 soll an diesem Tag das Urteil gesprochen werden gegen Immel und seinen Mitangeklagten Christian H., es ist der zweite Verhandlungstag. Immel ist des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz angeklagt. In einem Schwerter Bordell - Club 95 heißt der Laden - soll er 78 mal Kokain gekauft haben, Christian H. soll es ihm in diesem Bordell übergeben haben. Außerdem wird Immel vorgeworfen, im Jahr 2005 die Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern verletzt zu haben. In dieser Angelegenheit war Immel, 51, bereits am ersten Verhandlungstag geständig, er war so hoch verschuldet, dass einfach kein Geld mehr da war. Die Sache mit dem Koks bestreitet er.

Immels Stimme klingt heiser, sein Gesicht sieht zerknautscht aus. Es trägt die Spuren seines Lebens. Schon mit 17 spielte er in der Bundesliga, "Eike Immel im Fußballhimmel" reimte damals naheliegend die Bild. In der Nationalmannschaft war er lange der stille Ersatzmann des lauten Toni Schumacher, aber als Schumacher dann nicht mehr im Tor stand, verteidigte Immel den Platz als Nummer 1 nicht lang. Er trat zurück, als ein jüngerer Rivale erschien, Bodo Illgner. Mit Illgner im Tor wurde Deutschland Weltmeister.

Die Maske des Musterprofis

Es gibt Menschen, die sind da, wenn es drauf ankommt. Und es gibt die anderen, solche wie Immel. Er hat bestens verdient, aber es hat das Geld auch erstaunlich schnell wieder durchgebracht. Steuersparmodelle, Zockerei, er ist so eine Art Geistesverwandter des Nordiren George Best, dessen berühmtester Satz zwar schon etwas abgehangen ist, aber darum nicht weniger charmant. "Ich habe viel von meinem Geld für Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst." Best aber war einer, dem man seinen Hang zum Exzess schon aus der Ferne ansah, lange Haare, Trikot aus der Hose, ein Popstar. Die zwischenzeitlich sehr angesagte Indie-Band The Wedding Present nannte ihr erstes Album: George Best.

Immel dagegen verbarg die schwachen Momente seines Lebens hinter der Maske des Musterprofis. 534 Bundesligaspiele, und nach Abpfiff schaute er mit einem Blick in die Kamera, für den der Begriff treuherzig erfunden worden ist. Umso beklemmender war es, ihn schließlich im Dschungelcamp zu sehen, Geldnot hatte ihn da hineingetrieben. Im Dschungel lernte er den alten Sänger Bata Illic kennen, sie nahmen ein scheußliches Lied auf.

Die Kokain-Vorwürfe gegen Immel gehen zurück auf eine Aussage von Patricia W., die den Club 95 geleitet hat und dabei Wind von der Sache bekommen haben will. Patricia W. ist krank und nicht vernehmungsfähig, als Zeuge tritt auf: der Kriminalbeamte M., ein Fachmann für das organisierte Verbrechen. M. gibt an, mit Frau W. gesprochen und einen Aktenvermerk angefertigt zu haben. Dieser Aktenvermerk war die Grundlage für die Ermittlungen, aber es stellt sich heraus, dass der Vermerk in ein Vernehmungsprotokoll eingepflegt wurde, eine weitergehende Befragung der Frau habe nicht stattgefunden. Die Anklage stützt sich auf brüchigstes Fundament, inzwischen hat Patricia W. ihre Beschuldigungen zurückgenommen.

Kurze Pause. Immel geht raus, er zieht ein Bein leicht nach, eine Frau kommt auf ihn zu, sie sagt, dass sie ihn noch von früher kennt, als Fußballer. Und jetzt sowas. Sie lächelt. "Aber Sie sehen doch, dass ich freigesprochen werde", sagt Immel, dann streichelt er ihr mit seinen Torwarthänden über die Schulter.

Die Verhandlung geht weiter, es kommen immer neue Leute rein, Zuschauer oder Gerichtsmitarbeiter, manche lassen die Tür offen stehen. Immel, der nur einen Schritt entfernt sitzt, macht sie jedesmal leise zu. Als der Richter ihn fragt, ob er noch was zu sagen habe, sagt er: "Ich möchte dem Gericht danken für das intensive Führen des Termins hier."

Es gibt nicht viele, die Immel für einen schlechten Typen halten. Eher gutgläubig sei er, einer der nicht handelt, sondern behandelt wird. Einer, der in etwas reinrutscht. Wovon er lebt? Am ersten Verhandlungstag hat er gesagt, seine Schwester unterstütze ihn, "die hat was Vernünftiges gelernt". Es klang resigniert. Und, aus diesem Knautschgesicht herausgesprochen, auch irgendwie rührend.

Die Verfahren gegen Immel und seinen Mitangeklagten werden abgetrennt, Immel muss 400 Euro zahlen für die Verletzung der Unterhaltspflicht. Die Staatsanwältin sagt, er habe die Straftat nicht begangen, um ein Luxusleben zu führen, sondern um irgendwie klarzukommen. Vom Vorwurf des Drogenbesitzes sprechen sie ihn frei.

Aber Eike Immel, der fast Weltmeister geworden wäre, weiß natürlich, dass er mit den Schlagzeilen wird leben müssen. Die kleben an ihm, so ist das Geschäft mit den Medien. Doch er beklagt sich nicht, draußen im Gang warten ein paar Journalisten, sie wollen mit ihm reden, er will auch gern reden, er ist ein freundlicher, erleichterter, gebeutelter Mann. Gemeinsam suchen alle nach einer stillen Ecke für die Gespräche, Eike Immel schaut nach links und nach rechts, dann fragt er: "Und jetzt?"

© SZ vom 31.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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