Protest gegen Klimawandel:Warum ausgerechnet sie?

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Die 16-jährige Greta Thunberg steht seit Monaten freitags vor dem schwedischen Parlament, um sich Gehör zu verschaffen und inspiriert mit #FridaysForFuture Jugendliche weltweit.

Von Nadja Schlüter

Fünf Jahre her: Gretas erster geschwänzter Freitag vor dem Parlament in Stockholm. (Foto: TT NEWS AGENCY/REUTERS)

Als sich ihr innerhalb der ersten drei Wochen immer mehr Menschen anschlossen, war Greta Thunberg überfordert. "Ich konnte mit der Aufmerksamkeit nicht umgehen", sagt sie. Sie fing an zu weinen, verließ kurzzeitig den Streik, den sie selbst initiiert hatte. Aber dann dachte sie: "Ich kann jetzt nicht aufhören."

Sie hat bis heute nicht aufgehört. Thunberg, 16, streikt seit 21 Wochen vor dem schwedischen Parlament für eine konsequente Klimapolitik. Drei Wochen ging sie gar nicht zur Schule, seitdem streikt sie jeden Freitag. Sie will das durchziehen, bis Schweden die Ziele des Pariser Abkommens erfüllt, und sie hat eine weltweite Bewegung ausgelöst: Unter dem Motto #FridaysForFuture treten Schüler in Kanada, Deutschland, Nigeria, Australien und weiteren Ländern in den Streik. Im Dezember hielt Thunberg eine Rede auf der UN-Klimakonferenz im polnischen Kattowitz, das Video verbreitete sich rasant im Netz.

Sie ist auffallend unauffällig

Thunberg ist natürlich nicht die einzige junge Klimaaktivistin. Timoci Naulusala zum Beispiel hielt 2017 mit zwölf Jahren ebenfalls eine Rede bei der Klimakonferenz. Felix Finkbeiner, inzwischen 21, gründete mit neun Jahren die Initiative "Plant-for-the-Planet", die sich für Aufforstungen einsetzt. Kelsey Juliana, 22, reichte 2015 Klage gegen die Klimapolitik der US-Regierung ein. Aber kein junger Aktivist hat bisher solch eine Wirkung erzielt wie Greta Thunberg. Warum ausgerechnet sie?

Wenn man ihren Streik in Stockholm besucht, um das herauszufinden, fällt als erstes auf, dass sie nicht auffällt. Protestwoche 21, Freitag um kurz nach acht Uhr morgens, zwei Grad kalt. Eine kleine Gruppe Unterstützer wartet schon auf dem Mynttorget, dem Platz zwischen Parlament und Schloss. Als Thunberg ankommt, geht sie ganz still an den anderen Demonstranten vorbei. Nach und nach kommen diese auf sie zu, beinahe vorsichtig, als könnten sie Thunberg sonst verschrecken. Konkret zu ihrem Thema befragt, redet sie ausführlich, spontan angesprochen kann sie sehr einsilbig sein. Zwischendurch verschwindet sie immer wieder. In der Menge, weil sie klein ist für ihr Alter. Hinter ihrem Schal, den sie sich bis unter die Nase schiebt. Oder auch wortwörtlich.

Am Ende stehen an diesem Tag 143 Namen im Streik-Gästebuch. Einer der Gründe, warum Thunbergs Protest so gut funktioniert: Sie gibt den Menschen einen Ort und eine Zeit. Auf dem Mynttorget versammeln sich Schülerinnen und Schüler. Väter und Mütter. Psychologinnen und Autoren. Ein Hochschulprofessor. Eine Bahn-Mitarbeiterin. Und eine Aktivistin, die sich gegen den Ausbau des Stockholmer Flughafens einsetzt. "Greta hat mich inspiriert", sagt ein Musiker, der auch an dem Streik teilnimmt. Inspirieren - dieses Wort benutzen viele, wenn es um Thunberg geht. "Aber ich sehe mich nicht als Anführerin, sondern nur als Aktivistin, die anderen eine Protestform zeigt", sagt sie. Das könnte Koketterie sein. Wenn man in Thunbergs immerzu ernstes Gesicht schaut, während sie das sagt, wirkt es jedoch überhaupt nicht kokett, sondern wie eine Tatsache.

Sie wird von Klimaskeptikern beschimpft

Greta Thunberg hat das Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus. Ein Spezialinteresse zu haben, ist dabei nichts Ungewöhnliches. Der Protest lässt sich nicht von ihrer Person trennen. Auf der einen Seite wird sie bejubelt, auf der anderen Seite von sogenannten Klimaskeptikern beschimpft. Oder es wird behauptet, hier werde ein Kind instrumentalisiert.

"Ich glaube, wenn sie 30 Jahre alt wäre, wäre sie unbekannt", sagt der Protestforscher Dieter Rucht. Thunbergs Jugend mache sie zu einem Anknüpfungspunkt für Schüler. "Ein sehr junger Mensch, dem man die Politikfähigkeit noch abspricht, äußert sich politisch. Das findet Anklang bei ähnlich gelagerten Jugendlichen, die sagen: Wenn sie anfängt, klinke ich mich ein", sagt Rucht. Junge Menschen stecken in einem Teufelskreis: Man traut ihnen keine politische Meinung zu, also werden sie nicht politisch aktiv, also traut man ihnen nichts zu. Werden sie doch aktiv, traut man es ihnen immer noch nicht zu - und behauptet, die Idee dazu könne doch nur von Erwachsenen kommen. Daraus entsteht eine Meta-Diskussion, die vom eigentlichen Inhalt wegführt. Statt sich in diese Diskussion einzumischen, macht Thunberg vor, wie es anders geht: Sie spricht nur, wenn sie wirklich etwas zu sagen hat. Mit ihrem Aktivismus hat sie genau das erreicht, was Protestforscher Rucht gesagt hat: Andere junge Menschen ziehen mit.

Gegen 11.30 Uhr an diesem Tag kommt Svante Thunberg vorbei und bringt seiner Tochter etwas zu essen. Thunberg, Schauspieler, Musikproduzent, langhaarig und gut gelaunt, steht als Erster unter Verdacht, wenn Instrumentalisierung unterstellt wird. Er erzählt dann aber, dass die Tochter in puncto Ökologie eher ihre Eltern erzogen hat als umgekehrt.

Thunberg war elf Jahre alt, als sie fast nicht mehr sprach, nicht mehr aß und depressiv wurde. Weil alle vom Klimawandel wussten, aber niemand etwas unternahm. "Das war die Phase, in der sie die ganze Familie verändert hat", sagt ihr Vater. Heute ernährt sich die Familie vegan und fährt nur noch Elektroauto. Im Sommer 2018 beschloss Greta Thunberg zu streiken, inspiriert von den Schülern in den USA, die für strengere Waffengesetze protestierten. "Wir haben nicht damit gerechnet, dass sie den ersten Tag durchsteht", sagt ihr Vater. Aber sie stand ihn durch und machte weiter. Sie fing an, mit Aktivisten und Journalisten zu sprechen. Sie fing wieder an zu essen. Svante Thunberg findet das bis heute unglaublich. "Es ist, als ob sie sich selbst geheilt hätte", sagt er.

Thunberg sieht ihren Autismus als Vorteil. "Ich sehe die Welt anders: schwarz und weiß. Alle sagen, dass es nichts gibt, was eindeutig schwarz oder weiß ist. Dabei ist die Klimakrise genau das: Entweder, wir bleiben unter der Erwärmung von 1,5 oder zwei Grad - oder nicht. Es gibt keine grauen Bereiche, wenn es ums Überleben geht." Vielleicht ist Thunberg berühmt geworden, weil die Welt jemanden wie sie gerade gut brauchen kann. Einen Menschen, der authentisch ist, der keine Eigeninteressen verfolgt, der sich nicht von Berühmtheit mitreißen lässt. Es ist ihr egal, ob sie beliebt ist, das hat sie auch vor den UN gesagt. Es geht ihr darum, dass sich etwas ändern muss, damit es noch eine Zukunft gibt.

Um kurz nach 14 Uhr telefoniert Thunberg mit Schweizer Schülern, deren Vorbild sie ist. Damit kann sie mittlerweile umgehen. "Ich kriege nicht gerne Komplimente und stehe nicht gerne im Mittelpunkt", sagt sie. "Aber das ist eine der Sachen, die man akzeptieren muss, wenn man in dieser Position ist. Das ist es wert." Ist sie denn gar nicht stolz? "Kann ich so nicht sagen", sagt Thunberg. "Das hier ist für mich einfach Pflicht. Es gibt keine andere Option."

© SZ vom 17.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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