Prostitution in Deutschland:Den Namen des Zuhälters auf der Haut

Lesezeit: 3 min

Mehr als 62 Bordelle, Büros und Wohnungen würden am Mittwoch in zwölf Bundesländern durchsucht. (Foto: dpa)

Prostitution ist in Deutschland ein Milliardengeschäft. Gerichtsprozesse offenbaren, mit welch dreckigen Methoden Frauen gefügig gemacht werden.

Von Hans Leyendecker

Albaner-Toni, Jakob der Frosch, Vincent der Dandy - das sind Kiezlegenden der Republik, deren Namen man früher im Milieu kannte. Berühmtheiten aus einer Szene, die im Fernsehen und auch sonst immer schon viel zu süß rüberkam: Rotlicht, Paten und Romantik. Das mögen die Zuschauer. In Wirklichkeit geht es heute, mehr noch als früher, um ein knallhartes, brutales, Menschen vernichtendes Geschäft. Ein Milliardengeschäft im Bereich der organisierten Kriminalität.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat einmal geschätzt, dass in Deutschland mit Prostitution jedes Jahr rund 14,5 Milliarden Euro umgesetzt werden. Ob diese Zahl zutrifft oder doch nicht so ganz, lässt sich nicht seriös verifizieren. Ganz falsch wird sie vermutlich nicht sein.

Hilfsorganisationen und Experten schätzen, dass in Deutschland etwa 200 000 Prostituierte arbeiten und ein großer Teil von ihnen ausgebeutet wird. Sie kommen aus Asien, aus Afrika, vor allem aber aus Rumänien, Bulgarien und anderen Balkanstaaten. Die Osterweiterung der EU im Jahr 2007 hat den Menschenhandel aus dieser Region dramatisch verstärkt. Mindestens achtzig Prozent der Prostituierten in Deutschland sollen Ausländerinnen sein.

Die Opfer müssen Pass und Handy abgeben. So verlieren sie den Kontakt zur Heimat

Der pensionierte frühere Erste Ulmer Kriminalhauptkommissar Manfred Paulus hat sich jahrzehntelang mit dem Milliardengeschäft beschäftigt und neulich im Fachblatt Kriminalistik dazu einen bemerkenswerten Aufsatz verfasst. Seine Analyse ist eine Mischung aus Ohnmacht, Wut und Zorn. Den üblichen Begriff des "Menschenhandels", der auch im Zusammenhang mit der Großrazzia am Mittwoch wieder verwendet wurde, lehnt er ab. Er spricht und schreibt über "Sexsklaverei". Eine Frau, die zur Prostitution gezwungen werde, sei keine Prostituierte und damit auch keine Zwangsprostituierte, sondern nur Opfer. "Und Opfer sollten Opfer sein dürfen."

Egal, ob die Frauen aus Thailand, Nigeria oder Osteuropa kommen: Die diversen Schleuser arbeiten mit ähnlichen Methoden. Den Frauen werden am Anfang Versprechungen gemacht. Auf der Reise nach Deutschland wird ihnen unter einem Vorwand der Pass abgenommen, manchmal auch das Handy. Brücken in die Heimat werden so systematisch abgebaut. Ihnen wird oft gesagt, dass der Pass gefälscht sei und der Grenzübertritt illegal war. Die Kosten für die Reise müssten sie abarbeiten. Manchmal werden auch Drogen eingesetzt, um ihnen den Weg zur Polizei schwerer zu machen. Die Frauen werden dann häufig von Eros-Center zu Eros-Center gebracht.

In Stuttgart läuft derzeit ein Mammutprozess gegen den Chef einer Bordellkette und einige seiner Mitarbeiter. Ihm werden die Förderung von schwerem Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, Beihilfe zur Zuhälterei und Betrug vorgeworfen. Über Jahre hatte der Bordellchef die angeblich ehrliche und saubere Prostitution mit vorgeblich selbständig arbeitenden Prostituierten propagiert, aber was die Ermittler fanden, sah anders aus: Frauen trugen Tätowierungen mit den Vornamen ihrer Besitzer. Wer raus wollte, dem konnte es demnach passieren, dass er geschlagen oder erpresst wurde. Zuhälter sollen gedroht haben, der Mutter etwas anzutun, wenn Prostituierte nicht weitermachen wollten.

Beim Kampf um Marktanteile sind ausländische Clans seit Jahren auf dem Vormarsch

Der Prozess ist bis März 2019 terminiert, doch solche Verfahren sind die Ausnahme. Entgegen allen Beteuerungen werde Rotlichtkriminalität, also vor allem Menschenhandel und Sklaverei, "oft nicht mehr erkannt und nicht wirksam bekämpft", schreibt Paulus. Die Urteile in diesen Verfahren stünden in keinem Verhältnis zu dem Aufwand der erforderlichen Ermittlungen. Menschenhandel kann zwar mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Aber das kommt fast nie vor. Ermittler seien da lieber mit oft deutlich geringem Aufwand und viel Lob für die Arbeit auf anderen Feldern unterwegs, zum Beispiel der Bekämpfung der Drogenkriminalität, so Paulus.

Die Zeiten, da deutsche Milieugrößen das Geschäft mit dem Handel von Frauen unter sich ausmachten, sind indes vorbei. Beim Kampf um Marktanteile sind ausländische Clans seit vielen Jahren auf dem Vormarsch. Besonders in Großstädten hatten in diesem Milieu zunächst albanische Clans die Macht übernommen. Sie gingen sehr entschieden gegen Konkurrenten vor. Nicht mehr Faust und Messer, sondern Mord und Totschlag. Der Experte Paulus sagt: "Es gibt in Deutschland nicht nur ein, sondern viele Rotlichtmilieus. Sie haben unterschiedliche Größen, agieren unabhängig voneinander." Sie kooperieren oder bekämpfen sich. Längst haben sich Interessengemeinschaft von kriminellen Gruppierungen gebildet.

Seit etlichen Jahren sind auch Rocker-Gruppen in diesem Geschäft. Zunächst als Türsteher oder Security im Rotlichtmilieu, dann auch als Zuhälter. Im Stuttgarter Fall wurden elf Personen, die zur Tatzeit den United Tribuns oder den Hells Angels zuzuordnen waren, zu Gefängnisstrafen zwischen einem und sechs Jahren Haft verurteilt.

© SZ vom 19.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Deutschlandweite Razzia
:Bundespolizei zerschlägt Zwangsprostitutions-Netzwerk

Den Tatverdächtigen wird vorgeworfen, Hunderte Thailänderinnen zur Prostitution gezwungen zu haben.

Von Susanne Höll, Frankfurt, und Kerstin Lottritz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: