"Nicht schuldig, Mylady" sagte der Angeklagte mit jungenhafter, gedrückter Stimme zur Richterin Thokozile Masipa. Insgesamt vier Mal wiederholte er den Satz, nachdem der Staatsanwalt jeweils die einzelnen Punkte der Anklage verlesen hatte. Die Anspannung konnte er, wie gewohnt makellos in Anzug und Krawatte erschienen, nicht verbergen: Immer wieder malmten seine Kiefermuskeln deutlich sichtbar. Pistorius zog die Augenbrauen auf und ab, presste die Handflächen fest gegeneinander.
Mit eineinhalb Stunden Verspätung hat am Montag um 11.30 Uhr Ortszeit in Pretoria der Prozess gegen Oscar Pistorius begonnen, den einstigen Vorzeigesportler und Nationalhelden Südafrikas, der - doppelt beinamputiert und auf Prothesen angewiesen - als erster behinderter Sportler weltweit nicht nur bei den Paralympics, sondern auch bei den regulären Olympischen Spielen angetreten war. In der Nacht zum Valentinstag 2013 hat er, so viel steht in jedem Fall fest, seine Freundin im Badezimmer seines Hauses in einer bewachten Wohnanlage in Pretoria erschossen. Von außen, durch die geschlossene Tür. War es Mord? Bei dem Urteil müsste Pistorius mit einer lebenslangen Haftstrafe rechnen. Oder war es ein Versehen, "ein tragischer Unfall", wie Oscar Pistorius selbst behauptet? Er habe gedacht, im Bad verschanze sich ein bewaffneter Einbrecher, sagt er. Seine Freundin, das 29 Jahre alte, südafrikanische Model Reeva Steenkamp, habe er zu dem Zeitpunkt schlafend im Bett gewähnt.
Die Verspätung, sagte ein Gerichtssprecher am Montagvormittag den etwa 300 anwesenden Journalisten aus aller Welt, rühre von der Verspätung der bestellten Übersetzerin. Die dolmetschte später für die erste Zeugin, die von Staatsanwalt und Verteidiger auf Englisch befragt wurde und selbst auf Afrikaans antwortete: Michelle Burger, eine schmale, mittelblonde junge Frau, Wirtschaftsdozentin an der Universität Pretoria; sie wohnt etwa 170 Meter vom Tatort entfernt. Und sie machte an diesem ersten Prozesstag Aussagen, die den Angeklagten schwer belasten.
Stundenlanger Schlagabtausch
In jener Nacht zum 14. Februar 2013 seien sie und ihr Mann aus dem Schlaf hochgeschreckt, so berichtete Michelle Burger. Der Grund: Sie hätten Schüsse und Schreie gehört. Eine Frau habe "schrecklich geschrien", später habe auch eine Männerstimme um Hilfe gerufen. Vier Schüsse habe sie insgesamt gehört: erst einen, dann - nach einer Pause - drei weitere in schneller Abfolge.
Daraufhin entbrannte im Gericht ein stundenlanger Schlagabtausch über die entscheidende Frage, in welcher Reihenfolge Schüsse und Schreie aufeinanderfolgten. Hat Michelle Burger wirklich bereits Schreie gehört, bevor die Schüsse fielen? Das wäre ein Indiz dafür, dass Pistorius und Steenkamp stritten, bevor er durch die Badezimmertür schoss - ein Indiz für Mord also. Pistorius' Verteidiger Barry Roux machte seinem unerbittlichen Ruf alle Ehre und grillte die Zeugin mit bohrenden Fragen und auch Vorwürfen wie diesem: "Sie sind sich nicht sicher, Sie spekulieren." Ob es nicht sein könnte, dass bereits Schüsse gefallen waren, als sie noch schlief? Ob das, was sie als Frauenstimme interpretierte, nicht auch die sich überschlagende Stimme eines Mannes gewesen sein könnte? Ob das, was sie als Schüsse interpretierte, nicht auch das Geräusch eines Baseballschlägers gewesen sein könnte, mit dem jemand die verriegelte Tür einschlug?
Letzteres will Oscar Pistorius nach eigener Aussage schließlich getan haben, nachdem ihm bewusst geworden sei, dass sich hinter der Tür doch kein Einbrecher, sondern seine Freundin Reeva befunden habe. Er verstehe ja durchaus die "emotionale Seite" ihrer Eindrücke jener Nacht, spottete der Anwalt in Richtung der Zeugin, "mich interessiert mehr die verwirrende Seite."
Die Zeugin hält dagegen
Mit leiser, aber fester Stimme - und inzwischen in makellosem Englisch, nachdem die Übersetzerin sich mehrfach überfordert gezeigt hatte - hielt die Zeugin dagegen: Sie habe eindeutig zwei Stimmen gehört, die einer Frau und die eines Mannes. Und auch wenn sie noch nie das Geräusch einer Baseballkeule beim Einschlagen einer Tür gehört habe, sei sie doch "hundertprozentig sicher", dass es sich um Schüsse gehandelt habe. Und nein, es seien bestimmt zuvor keine weiteren Schüsse gefallen, die sie im Schlaf überhört hätte. Zudem habe die Art der Schreie - sie waren "markerschütternd" - keinen Zweifel gelassen: "So schreit eine Frau nur, wenn ihr Leben bedroht ist."
Der Angeklagte, der lange Zeit starr in die Luft blickte, beugte sich nun immer wieder nach unten, um in seinen Notizblock zu schreiben. In der Reihe hinter der Anklagebank saß, neben weiteren Angehörigen beider Familien, die Mutter des Opfers, June Steenkamp. Mit bitterer Miene und in Schwarz gekleidet, war sie bereits am frühen Morgen ins Gerichtsgebäude gekommen, um den ersten Prozesstag zu verfolgen. "Ich bin bereit, ihm zu vergeben", hatte sie zuvor einer südafrikanischen Zeitung gesagt. "Aber vorher will ich ihn zwingen, mich anzuschauen. Damit er den Kummer und den Schmerz sieht, den er mir bereitet hat."
Zu einem längeren Blickkontakt zwischen den beiden kam es an diesem Tag allerdings nicht. Kurz nachdem die Richterin den ersten Verhandlungstag um kurz vor vier Uhr nachmittags für beendet erklärt hatte, verließ June Steenkamp den Saal mit unveränderter Miene, und wenig später schritt Oscar Pistorius davon, auf der Unterlippe nagend, Fragen der versammelten Journalisten abweisend. Der Weg zur Vergebung, danach sah es an diesem verregneten Nachmittag in Pretoria aus, dürfte noch sehr weit sein.