Notfälle:Die Angst vor dem herrenlosen Koffer

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Die Terroranschläge von Paris haben viele verunsichert. Eine herrenlose Tasche löst schnell Panik aus. Gerade in Städten alarmieren verunsicherte Menschen immer wieder die Polizei. (Foto: Rolf Vennenbernd/Archiv)

Essen (dpa) - Enterte gerade ein Mann den ICE mit einer Schusswaffe? Steckt in der herrenlosen Tasche am U-Bahn-Gleis etwas Explosives? Seit den Anschlägen von Paris führen solche Ängste immer wieder zu großem Durcheinander.

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Essen (dpa) - Enterte gerade ein Mann den ICE mit einer Schusswaffe? Steckt in der herrenlosen Tasche am U-Bahn-Gleis etwas Explosives? Seit den Anschlägen von Paris führen solche Ängste immer wieder zu großem Durcheinander.

Bahnhöfe werden gesperrt, Züge gestoppt, Straßen abgeriegelt, und die Polizei rückt mit Sprengstoffexperten aus. Die potenzielle Terrorgefahr ist derzeit für viele Menschen das Gesprächsthema schlechthin - ob in kleiner Runde zu Hause oder am Glühweinstand auf den jetzt beginnenden Weihnachtsmärkten. Vor allem in größeren Städten scheint die Gesellschaft nervöser zu werden. Das führt auch zu einer Häufung von Fehlalarmen.

„Klar hat die Polizei nun mehr zu tun“, sagt Rüdiger Holecek, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Nordrhein-Westfalen. Der Terror von Paris mit 130 Toten habe zu einer erheblichen Sensibilisierung in der Bevölkerung geführt. „Früher ist man an einer Tasche vorbeigelatscht. Heute werden auffällige Gegenstände schneller gemeldet“, sagt Holecek. „Uns sind aber drei Fehlalarme lieber als einer, der nicht registriert wird.“

Allein die Berliner Polizei verzeichnete in der Woche nach Paris innerhalb von zehn Tagen 60 Hinweise auf verdächtige Gegenstände oder Personen. Erst am Wochenende hatte ein Auto mit belgischem Kennzeichen die Angst vor geflüchteten Terroristen geweckt - das Fahrzeug stellte sich später als ungefährlich heraus. Auch im Südwesten Deutschlands hatte ein belgisches Auto - mit arabischen Schriftzügen auf einem Sticker - in Lauffen bei Heilbronn fälschlicherweise Verdacht erregt.

„Die intensive Medienberichterstattung hat viele Menschen verunsichert. Sie wissen nun nicht mehr genau, wie sie sich schützen sollen“, erläutert Notfall-Psychologe Gerd Reimann. Das erhöhte Stresslevel führe dazu, schneller den Notruf zu wählen, um sich dadurch in vermeintliche Sicherheit zu wiegen.

Werden jetzt einfach nur mehr spektakuläre Fälle bekannt? Oder hat sich die Zahl der Fehlalarme in Deutschland tatsächlich vervielfacht? Die Einsatzkräfte führen keine zentralen Erhebung. Die Bundespolizei - unter anderem für die Sicherheit an Flughäfen und Bahnhöfen verantwortlich - verzeichnet nach eigenen Angaben keine Erhöhung von Fehlalarmen. „Täglich gehen viele Hinweise bei der Bundespolizei ein“, heißt es vom Bundespolizeipräsidium. Die Bevölkerung sei sensibilisiert, den Hinweisen werde sorgsam nachgegangen.

Die aktuelle Situation ruft auch Trittbrettfahrer auf den Plan. Ein vermutlich psychisch kranker Mann hatte in Dortmund mit einer Bombendrohung am Bahngleis die Polizei in Aufruhr versetzt. Zu solchen Taten tendieren vor allem Menschen, die im normalen Leben keine Aufmerksamkeit bekommen, sagt Notfall-Psychologe Reimann. „Es gibt aber auch jene, die dadurch ihren krankhaften Willen zur Macht ausüben oder ihr Racheempfinden gegenüber anderen Menschen ausleben wollen.“

Die Alarmstimmung treibt aber auch seltsame Blüten. In Hannover hatte nach der Absage des Fußball-Länderspiels Deutschland-Niederlande ein verdächtiges Paket in einem Intercity die Menschen in Aufruhr versetzt. Die Bundespolizei hielt das Päckchen mit Elektrobauteilen und Kabel zunächst für eine gut gemachte Attrappe - bis sich ein Ingenieur aus dem Ruhrgebiet meldete: Er konnte den Beamten glaubhaft versichern, dass er sein Paket beim Umsteigen schlichtweg in der Gepäckablage vergessen hatte.

In einem Münchner Hotel alarmierte ein Hotelangestellter die Polizei wegen einer Gruppe Iraner. Butangas-Flaschen, Uniformteile und arabisch aussehende Menschen in einem Apartment kamen ihm verdächtig vor. Letztlich handelte es sich um ein Familientreffen von Asylbewerbern - die Gasflaschen dienten ihnen auf ihrer Flucht als Camping-Gaskocher zur Zubereitung von Nahrung. Und am Hofbräuhaus montierte ein Mann einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge keine Bombe - sondern einen Trafo für die Weihnachtsbeleuchtung.

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