Nordrhein-Westfalen:Sterbender in Bankfiliale: Anklage gegen Kunden erhoben

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  • Die Staatsanwaltschaft Essen hat gegen drei Männer und eine Frau im Alter von 39 bis 62 Jahre Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung erhoben.
  • Ihnen wird vorgeworfen, im vergangenen Oktober einen zusammengebrochenen Mann in einer Bankfiliale ignoriert zu haben.
  • Aufnahmen aus der Überwachungskamera zeigten, wie mehrere Kunden über den am Boden liegen Mann stiegen, um am Automaten ihre Bankgeschäfte zu erledigen.

20 Minuten lang lag der 83-jährige Mann bewusstlos im Vorraum einer Bankfiliale im nordrhein-westfälischen Essen. Wer am Bankautomaten Bargeld abheben wollte, musste über ihn steigen. Vier Kunden haben in den 20 Minuten den hilflosen Mann ignoriert. Das zeigen die Aufnahmen aus der Überwachungskamera. Als dem Rentner endlich jemand zur Hilfe kam, war es schon zu spät. Wenige Tage darauf starb er in einem Krankenhaus. Nun, sieben Monate nach dem Vorfall, hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die vier Bankkunden wegen unterlassener Hilfeleistung erhoben.

Dabei handelt es sich um drei Männer und eine Frau im Alter von 39 bis 62 Jahren aus Essen und Oberhausen, teilte Oberstaatsanwältin Birgit Jürgens von der Staatsanwaltschaft Essen mit. Ihre Identität konnte die Polizei anhand der Bankdaten ermitteln. Das Amtsgericht in Essen-Borbeck muss nun entscheiden, ob es zum Prozess kommt.

Bei den Ermittlungen hätten zwei der vier Angeklagten keine Aussage gemacht, sagte Jürgens. Die anderen beiden hätten gesagt, dass sie den Mann für einen schlafenden Obdachlosen hielten. Die Staatsanwaltschaft hält dies jedoch für eine Schutzbehauptung. "Der Mann hatte zum Beispiel keine Plastiktüten oder einen Schlafsack dabei", sagte Jürgens. Auch die Liegeposition habe dagegen gesprochen.

Dass die Ermittlungen sieben Monate lang dauerten, schob die Staatsanwaltschaft auf ein neuropathologisches Gutachten, dass sie in Auftrag gegeben hatte. Es habe die Frage klären sollen, ob der Mann überlebt hätte, wenn ihm eher geholfen worden wäre. Dem Gutachten zufolge wäre der Mann auch gestorben, wenn ein Arzt eher gekommen wäre, sagte Jürgens.

Polizei und Rettungsdienste hatten damals in einer Pressemitteilung an die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung appelliert: "Schauen Sie hin! Wählen Sie 110 oder 112 und retten Sie das Leben Ihrer Mitmenschen."

© SZ.de/dpa/ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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