Nach Zugunglück in Russland:Die Angst vor dem Terror

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Dutzende Menschen sterben, als ein Schnellzug zwischen Moskau und St. Petersburg entgleist. Nun ermitteln die Behörden wegen eines Terrorakts. Der Anschlag zeigt, wie instabil die Sicherheitslage in Russland ist.

Entsetzen in Russland: Dutzende Menschen sterben bei dem Zugunglück auf der Strecke zwischen Moskau und St. Petersburg. Der Unglücksort gleicht einem Trümmerfeld. Noch immer werden Passagiere vermisst.

Mindestens 26 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben. (Foto: Foto: dpa)

Doch mittlerweile steht fest: Auf den Newski Express wurde ein Terroranschlag verübt. Die Wucht der Bombenexplosion hat viele Passagiere des Zuges in Stücke gerissen. Gesundheitsministerin Tatjana Golikowa sprach von 25 bestätigten Todesfällen, etwa 100 Verletzten und 26 Vermissten. Die Einsatzkräfte befürchten aber, dass es noch mehr Opfer gibt.

Sicherheitskräfte entdeckten am Samstag, einen Tag nach der schrecklichen Tragödie, am Unglücksort Splitter, die vermutlich von einem Sprengsatz stammten, wie russiche Medien unter Berufung auf den Inlandsgeheimdienst FSB berichteten.

Während der Bergungsarbeiten explodierte am Samstag eine zweite Bombe, die nach Angaben der russischen Staatsbahn vermutlich im Gleisbett versteckt war. Verletzt wurde bei dieser Explosion niemand.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen des Verdachts auf einen Terroranschlag. "Es gibt objektive Hinweise darauf, dass die Explosion eines Sprengsatzes eine Erklärung für den Vorfall ist", sagte der Chef der Staatsbahn, Wladimir Jakunin, am Unglücksort vor Journalisten.

Die Bombe hatte eine Sprengkraft von sieben Kilogramm TNT, wie russische Medien berichteten. Sie riss einen 1,5 Meter tiefen Krater ins Gleisbett.

Ermittler halten Bekennerschreiben nicht für echt

Der blutige Terroranschlag auf die wichtigste Zugverbindung Russlands wirft erneut ein Schlaglicht auf die instabile Sicherheitslage im größten Land der Erde. Zwar stuften Ermittler in Moskau das Bekennerschreiben einer rechtsradikalen Gruppierung im Internet als kaum authentisch ein.

Dass aber Kreml-Chef Dmitri Medwedjew den Inlandsgeheimdienst FSB mit den Untersuchungen beauftragte, lässt nach Ansicht politischer Beobachter in Moskau klar auf einen extremistischen Hintergrund schließen. Sie rechnen damit, dass der Staat als Reaktion auf das Attentat die Kontrolle der Gesellschaft weiter verschärfen wird. Der Anschlag auf auf der Strecke zwischen Moskau und St.Petersburg dürfte das schwerste Attentat außerhalb der Konfliktregion Nordkaukasus seit Jahren sein.

Russlands Bahnchef sprach nach dem Unglück von "Parallelen zu 2007". Bereits damals war ein Anschlag auf die Strecke von Moskau nach St. Petersburg verübt worden. Die Spur führte in den Nordkaukasus.

In den dortigen Teilrepubliken Dagestan, Inguschetien und Tschetschenien sind bei Konflikten zwischen Rebellen und kremltreuen Einheiten in den vergangenen Jahren Hunderte ums Leben gekommen. Immer wieder hatten die Aufständischen mit Attentaten außerhalb der Unruheregion gedroht.

Deutlich zugenommen hat in Russland auch der Terror von Rechts. Erst vor kurzem gestand der Anhänger einer neofaschistischen Bewegung den Doppelmord an einem Menschenrechtsanwalt und einer Journalistin.

Soziologen sehen den Zulauf für extremistische Gruppen auch als eine Schattenseite des ungezügelten russischen Wirtschaftslebens, bei dem die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklappt.

Experten in Moskau rechnen nach dem Anschlag mit einer weiteren Verschärfung staatlicher Repressalien im Land. Schon jetzt haben sich die Bewohner auch kleinerer Städte daran gewöhnt, bei Restaurant- oder Kino-Besuchen durch eine Sicherheitsschleuse zu gehen und die Taschen durchsuchen zu lassen. Sogar Leibesvisitationen sind keine Seltenheit.

Noch im Frühjahr musste sich Ministerpräsident Wladimir Putin dafür rechtfertigen, das Defizit des Staatshaushalts mit Mehrausgaben auch für die innere Sicherheit zu vergrößern. Nach dem Anschlag dürfte die Kritik leiser werden.

Passagiere mussten eine Stunde auf Hilfe warten

Moskauer Medien zufolge zeigt der Anschlag aber auch die Zustände, die bei Polizei und Feuerwehr herrschen. Fast eine Stunde lang hätten die Passagiere auf Rettungskräfte oder auch nur auf Informationen warten müssen, berichtete ein Augenzeuge.

Die Unfallstelle nahe der Stadt Bologoje rund 350 Kilometer nordwestlich von Moskau glich auch am Samstag noch einem Trümmerfeld. Am Abend stellten die Rettungskräfte die Bergungsarbeiten ein.

Das Unglück ereignete sich am Freitag gegen 21.34 Uhr Ortszeit (19.34 Uhr MEZ). Teile des nach dem Fluss Newa benannten Zuges waren grotesk verformt. In den Trümmern klingelten zurückgelassene Mobiltelefone.

© sueddeutsche.de/Reuters/AP/AFP/dpa/joku/dmo/abis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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