Mordfall Johanna:"Ein Verlierer hat Herr über Leben und Tod gespielt"

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Der 42-jährige Angeklagte Rick J. sitzt in Handschellen auf der Anklagebank im Verhandlungssaal des Landgerichts in Gießen. Er soll Ende der Neunziger das Mädchen Johanna Bohnacker in sein Auto gezerrt, missbraucht und getötet haben. (Foto: Boris Roessler/dpa)
  • Fast 20 Jahre nach dem Tod der kleinen Johanna in Hessen ist für die Staatsanwaltschaft klar: "Es war Mord und kein Unfall."
  • Der Angeklagte habe sich "in ganz besonders egoistischer Weise über den Lebensanspruch dieses achtjährigen Kindes hinweggesetzt", sagt der Anklagevertreter im Landgericht Gießen.
  • Der heute 42-Jährige habe im September 1999 Johanna aus der Wetterau entführt, betäubt, gefesselt und ihren Kopf mit Klebeband umwickelt, so dass sie erstickt sei.

Von Susanne Höll, Gießen

Mehr als zwei Stunden hat Rick J. versteinert auf der Anklagebank gesessen, vor sich eine Akte, einen Stift in der regungslosen Hand. Erst als ihm das letzte Wort in einem der eigentümlichsten Tötungsprozesse gegeben wird, spürt man Aufregung. Der 42-Jährige nestelt am Mikrofon und lehnt eine längere Stellungnahme ab. "Angesichts dessen, was ich an Leid und Schmerz angerichtet habe, kann alles, was ich sage, nur lächerlich wirken", sagt er mit gebrochener Stimme.

Die Plädoyers des Staatsanwalts, der Nebenklage und selbst seiner Verteidiger haben ihm zugesetzt. Sein elendes und ruiniertes Leben wurde abermals ausgebreitet. Intelligent und gebildet, abgerutscht in seinen Zwanzigern, arbeitslos, drogen- und spielsüchtig, beherrscht von sexuell abnormem Verhalten, einer Vorliebe für junge Mädchen und Kinderpornos. Rick J. muss damit rechnen, bis zu seinem Tod hinter Gittern zu bleiben. Ankläger Thomas Hauburger fordert lebenslange Haft für die Entführung und Ermordung der acht Jahre alten Johanna Bohnacker im Jahr 1999 in Mittelhessen. Das Mädchen wurde tot gefunden, gefesselt mit Stricken, den Kopf verklebt mit meterlangem Klebeband. Der Angeklagte hatte sie in sein Auto gezerrt, mit dem Ziel, sie zu missbrauchen.

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:"Es stimmt, dass ich versucht habe, etwas zu beschönigen"

Der mutmaßliche Mörder der damals achtjährigen Johanna hat gestanden, das Mädchen 1999 entführt zu haben. Er erinnert sich vor Gericht an viele Details, widerspricht aber in etlichen Punkten den Aussagen nach seiner Festnahme.

Aus dem Gericht von Susanne Höll

Der Fall sorgte für Aufsehen, vom Täter fehlte fast zwei Jahrzehnte jede Spur. Erst eine bizarre Entdeckung in einem Maisfeld in der Gegend brachte 2017 den entscheidenden Hinweis. Rick J. hatte ein 14 Jahre altes, geistig offenkundig zurückgebliebenes Mädchen gefesselt und sie zu sexuellen Spielen genötigt. Die Spur auf dem Klebeband stimmte mit einem Abdruck überein, den die Ermittler seinerzeit bei den Fesseln von Johanna gefunden hatten.

Nach 18 Jahren räumte der Angeklagte ein, das Kind im Drogenrausch verschleppt zu haben, behauptete in etlichen widersprüchlichen Aussagen aber, er habe sie nicht vorsätzlich getötet, sie im Kofferraum seines Autos vielmehr tot aufgefunden. Sein Verteidiger fordert deshalb eine Strafe wegen Totschlags, es wären maximal 15 Jahre. Seinem Mandaten attestierte er ein zuletzt asoziales Leben. Und er schlägt vor, Rick J. wegen seiner Drogensucht in eine Entzugsklinik zu bringen.

Während des Plädoyers der Verteidigung schüttelt Gabriele Bohnacker den Kopf. Die Mutter von Johanna ist zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann und ihren anderen beiden Töchtern 18 Jahre durch die Hölle gegangen. Zwischenzeitlich standen auch sie und ihr Mann im Verdacht, für den Tod des Kindes verantwortlich zu sein.

An all dies erinnert die Juristin, die als Nebenklägerin auftritt. Erstaunlich gefasst in ihrer tiefen Trauer zeichnet sie ein Bild ihrer fröhlichen Tochter, die Opfer wurde, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. "Ein Verlierer hat Herr über Leben und Tod gespielt", sagt sie zu Rick J. Der schaut sie nicht an, sitzt versteinert auf seinem Stuhl, hält sich an seinem Kugelschreiber fest. Das Urteil wird am 19. November erwartet.

© SZ vom 10.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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