Missbrauchsprozess:"Für mich ist das eine endlose Geschichte"

Auftakt Mordprozess Johanna Bohnacker

Rick J. (rechts) soll die achtjährige Johanna 1999 entführt und später getötet haben.

(Foto: dpa)

Fast 20 Jahre nach dem Verschwinden der kleinen Johanna beginnt in Gießen der Prozess gegen ihren mutmaßlichen Mörder. Die Mutter der Toten hofft vor allem auf ein schnelles Ende.

Von Susanne Höll, Gießen

Vorbei? Zu Ende? Gabriele Bohnacker versteht die Fragen der Journalisten nicht, die sich im Gießener Landgericht um sie drängen. "Zu Ende kommt das Ganze nicht für mich", sagt die Frau, deren Tochter Johanna am 2. September 1999 verschwand und ein gutes halbes Jahr später tot in der Nähe der hessischen Stadt Alsfeld gefunden wurde. Gerade hat Gabriele Bohnacker im Verhandlungssaal den Mann gesehen, der ihre damals acht Jahre alte Tochter entführt, betäubt, gefesselt und missbraucht hat. Und der auch für ihren Tod verantwortlich sein soll. "Für mich ist das eine endlose Geschichte", sagt die Mutter.

Gabriele Bohnacker ist eine starke, eine entschlossene Frau, sagen die, die sie kennengelernt haben. Im Prozess gegen den inzwischen 42 Jahre alten Rick J. aus Friedrichsdorf im Taunus tritt sie als Nebenklägerin auf. Bis zum Sommer werden etliche Experten minutiös über die letzten Stunden im Leben von Johanna berichten und spekulieren. Die Entführung und den Missbrauch hat der Angeklagte eingeräumt, den Tod des Kindes bezeichnet er nach Angaben seiner Verteidiger als Unfall, will nicht vorsätzlich getötet haben. Die Staatsanwaltschaft ist dagegen überzeugt, dass Rick J. das Kind ermordet hat und möchte das im Prozess beweisen.

Schon vor 18 Jahren waren die Fahnder Rick J. auf der Spur

Johannas Tod bewegte ganz Hessen. Das Kind war am Abend nicht nach Hause gekommen, große Suchaktionen blieben ohne Erfolg, ebenso die Fahndung nach dem Täter. Nun sitzt Rick J. auf der Anklagebank. 2017, mithin 18 Jahre nach der Tat, wurde er gefasst, dank eines absonderlichen Zufalls, zäher Ermittler und der technischen Fortschritte.

Spaziergänger im hessischen Nidda entdeckten im vergangenen August in einem Maisfeld einen älteren Mann mit einem sehr jungen, gefesselten Mädchen bei offenkundig sexuell motivierten Aktivitäten. Der Mann war Rick J., ein klein gewachsener, dicklicher Mann mit langen Haaren, die er zum Zopf gebunden trägt. Es ist ein Mensch mit offenkundig vielen Problemen und gefährlichen sexuellen Bedürfnissen. Er hat Abitur, ging als junger Mann an die Uni, brach das Studium aber bald ab. Er hat keinen Beruf erlernt, nach Angaben seiner Anwälte war er auch drogenabhängig. Als die Polizei nach dem Vorfall im Maisfeld seine Wohnung durchsuchte, fand sie zahlreiche kinderpornografische Filme, auch solche, in denen Kleinstkinder missbraucht wurden.

Die Suche nach dem Täter im Fall Johanna ist, wenn man so will, eine Serie eigentümlicher Verwicklungen. Denn schon im Jahr 2000 waren die Fahnder Rick J., wenn auch unwissentlich, auf der Spur. Er fuhr einen braunen VW-Jetta. Ein solches Modell hatten Zeugen zur Tatzeit beobachtet, ebenso wie einen Mann mit Haarzopf. Auch R. nahm die Polizei damals Fingerabdrücke ab. Denn an dem Klebeband, mit dem das erstickte Mädchen gefesselt war, fand sich ein Teilstück einer Fingerspur. Dass die Abdrücke identisch waren, konnte damals aber nicht festgestellt werden; es gab dafür noch keine Digitaltechnik.

Bei der Wohnungsdurchsuchung im vergangenen Jahr fanden die Ermittler zudem Klebeband, behaftet mit Fasern, die auch am Fundort des toten Kindes entdeckt worden waren. Konfrontiert mit den Ermittlungsergebnissen, legte der Verdächtige daraufhin ein Teilgeständnis ab. Auf dem Radweg in der Nähe einer Brücke hatte er Johanna am späteren Nachmittag des 2. Septembers 1999 abgepasst, betäubte sie mit Chloroform, steckte sie in seinen Wagen und fuhr nach einem kurzen Tankstellenstopp mit ihr in ein Waldstück, fesselte und missbrauchte sie.

Als Staatsanwalt Thomas Hauburger die Anklage verliest und dabei auch einige Details der sichergestellten kinderpornografischen Filme nennt, nestelt Rick J. an den Blättern eines Aktenordners herum, der vor ihm auf der Anklagebank liegt. Er hält den Kopf gesenkt, meidet jeden Blick zu Johannas Mutter, die im schwarzen Kleid ihm schräg gegenüber sitzt. Seine Anwälte sagen, ihr Mandat wisse, dass er schwere Schuld auf sich geladen habe, so schwer, dass er dafür nicht um Verzeihung bitten könne. Rick J. habe auch Suizidgedanken gehegt, das sei aktenkundig. Im Prozess soll es auch um sein Leben gehen. Der Angeklagte will aussagen, schon am nächsten Prozesstag am 9. Mai.

Auf einen Freispruch hoffen die Verteidiger von Rick J. nicht, wohl aber auf eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Die wird weniger hart bestraft als ein aus Vorsatz begangener Mord. "Unser Hauptziel ist es, dass der Sache juristisch maximal gerecht werden kann", sagt Rechtsanwalt Thomas Ohm aus Bonn. Nichts anderes erwartet auch Gabriele Bohnacker vom Prozess. Sie, die erst das Kind und dann den Ehemann verlor - er starb 2016, also noch bevor Rick J. verhaftet wurde -, sagt, sie habe volles Vertrauen in die Gießener Justiz. Und hofft, dass wenigstens die juristische Auseinandersetzung um ihre Tochter so schnell wie möglich endet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: