Gefängnisstrafe für Pflegerin:"Brutale Gewalt gegenüber den hilflosesten Menschen"

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Weil sie vier Bewohner eines Pflegeheims ermordet hat, muss die frühere Pflegerin Ines R. 15 Jahre ins Gefängnis. (Foto: Annette Riedl/dpa)

Ines R. galt als "liebevolle" Pflegerin und tötete trotzdem vier Schwerstbehinderte. Dafür muss sie nun 15 Jahren ins Gefängnis. Die Motive der Tat zu ergründen, fällt auch dem Vorsitzenden Richter schwer.

Von Jan Heidtmann, Potsdam

Gut 90 Minuten dauerte es, bis der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter das Urteil begründet hatte. Dann wandte er sich an die Angeklagte, fragte freundlich: "Haben Sie dies alles insoweit verstanden?" Ines R. nickte zweimal schnell. Wie auch in den Prozesstagen zuvor, war sie der Verhandlung weitgehend regungslos, ja fast erstarrt, gefolgt. Die Strafkammer am Landgericht Potsdam verhängte eine Strafe von 15 Jahren wegen vierfachen Mordes und drei versuchten Morden. Außerdem ordnete das Gericht an, die Angeklagte in einer psychiatrischen Klinik unterzubringen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In seiner Schlussbemerkung deutete Horstkötter an, wie schwer es war, in diesem Fall zu einem Urteil zu kommen: "Wir sind uns als Schwurgericht immer bewusst, nie bis ins Allerletzte ergründen zu können, was einen Menschen in so einem Moment antreibt."

Am Abend des 28. April wurden in einer Pflegeeinrichtung in Potsdam, dem Thusnelda-von-Saldern-Haus, vier Menschen getötet. Den schwerstbehinderten zwei Frauen und zwei Männern im Alter zwischen 31 und 56 Jahren war mit einem Messer die Kehle durchschnitten worden, eine weitere Bewohnerin wurde schwer verletzt, konnte aber durch eine Notoperation gerettet werden. Der Vorfall hatte bundesweit Schlagzeilen gemacht, auch, weil die Opfer durch ihre Behinderung vollkommen wehrlos waren. In ihrem Schlussplädoyer in der vergangenen Woche hatte die Staatsanwaltschaft die Tat als "abgrundtief böse" bezeichnet.

Nach der Tat waren am Oberlinhaus in Potsdam viele Blumen zum Gedenken an die Opfer abgelegt worden. (Foto: Soeren Stache/picture alliance/dpa/dpa-Zentral)

Dringend tatverdächtig war von Beginn an Ines R., 52. Die Pflegerin arbeitete seit 30 Jahren im Oberlinhaus, einer diakonischen Einrichtung, zu der auch das Thusnelda-von-Saldern-Haus gehört. Ines R. war an jenem Abend für die später Getöteten als Pflegerin zuständig. Später, als sie nach Hause kam, offenbarte sie sich ihrem Ehemann, der die Polizei rief. Eine Polizistin, die Ines R. wenig später festnahm, berichtete, die Pflegerin habe im Wagen "völlig ohne jeden Zusammenhang" gesagt: "Ich habe vier Menschen die Kehle durchgeschnitten." Im Prozess selbst schwieg Ines R. zum Tathergang bis zu ihrem Schlusswort am vergangenen Freitag. "Als ich zur Arbeit ging, habe ich nicht gedacht, dass ich die Kontrolle verliere", sagte sie da. "Auch wenn ich hier nicht weine oder zusammenbreche, ist es so, dass ich immer noch nicht glauben kann, was ich gemacht habe. Es tut mir ganz doll leid."

So ging es in der Verhandlung vor allem um die Frage, ob Ines R. zum Zeitpunkt ihrer Tat überhaupt schuldfähig war. Im Verlauf des fast zwei Monate währenden Prozesses hatte sich das Gericht bemüht, sich ein umfassendes Bild vom Leben der Angeklagten zu machen. "Sie ist Pflegerin mit Leib und Seele", Kollegen von Ines R. hätten sie als sehr "liebevoll" beschrieben, sagte Horstkötter. Auf der anderen Seite stehe "die brutale und extreme Gewalt" gegenüber "den schwächsten und hilflosesten Menschen".

In seiner Urteilsbegründung würdigte der Richter die Opfer, ging aber auch noch einmal ausführlich auf das Leben von Ines R. ein, der eine Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus diagnostiziert wurde. Auf die Trennung der Eltern, den Tod des Vaters und ihrer beiden Halbschwestern, die Suizidversuche. Horstkötter sprach von "Kälte in ihrer Kindheit", von der "Angst vor ihrer Mutter".

Bereits vor ihrer Volljährigkeit musste Ines R. vorübergehend in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung. Eine Serie menschlicher Katastrophen, die auch später nicht abriss. Die Angeklagte habe das nach außen hin "gut verborgen gehalten", sagte Horstkötter. "Sie hat ein Leben hinter einer Fassade geführt." Als einen möglichen "Trigger" für die Tat nannte der Richter die enorme Belastung im Arbeitsalltag der Pflegeeinrichtung. Zugleich befand das Gericht, dass die Angeklagte die Taten aber auch gezielt und kalkuliert ausgeführt habe, und erkannte schließlich nicht auf schuldunfähig, sondern auf eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit.

Er hoffe, dass dieses Urteil und die Entschuldigung der Angeklagten den Angehörigen der Opfer dabei helfe, mit den Taten abzuschließen, sagte Horstkötter in seiner Schlussbemerkung. An Ines R. gewandt fügte er hinzu: "Ich wünsche Ihnen auch, dass Sie Ihren inneren Frieden finden."

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Von Jan Heidtmann

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