Manche Leute fühlen sich schon in gewöhnlichen Fahrstühlen schlecht. Aufzüge sind ihnen zu eng und zu schnell und zu unheimlich, verursachen klaustrophobische Gefühle und einen Kloß im Magen. Wer unter Tage schuftet, dem machen selbst einfachere Beförderungsmittel in der Regel weniger aus. Aber auch die verschütteten Minenarbeiter im Norden Chiles müssen sich vorbereiten wie nie zuvor auf eine Reise, die für sie die Erlösung sein soll.
Seit dem 5. August stecken die 33 Männer 700 Meter unter der Kupfermine San José bei Copiapó in der Atacamawüste fest. Jetzt kam die Rettungskapsel an: "Fénix" heißt die raketenartige Stahlröhre, zwei Meter lang, 90 Zentimeter Umfang, 420 Kilogramm schwer. Die chilenische Marine hat sie zügig gebaut, ausgestattet mit Sauerstoffzufuhr und Sprechfunk. Darin sollen die Gefangenen aus der Unterwelt aufsteigen wie Phönix aus der Asche.
Wann wird es so weit sein? "In 15 Tagen" sei alles bereit, berichtete am Dienstag ein Sprecher des Innenministeriums. Das wäre schon Mitte Oktober, nachdem anfangs mit November oder gar Weihnachten gerechnet worden war. Allerdings kann sich der Beginn der weltweit erwarteten Befreiungsaktion danach noch einige Tage verzögern. Die Bohrungen kamen zuletzt jedenfalls gut voran.
Der sogenannte Plan B, die Maschine vom Typ T-130, hat den erweiterten Schacht für den Notausstieg bereits auf mehr als 300 Meter hinab getrieben. Zwei andere Geräte graben alternative Löcher, auch sie machen Fortschritte. Die Kumpel in den unterirdischen Schutzräumen schaffen täglich 22 Tonnen Gestein beiseite, um Platz zu machen. Schon diese tägliche Plackerei von täglich acht Stunden in drei Gruppen und drei Schichten hält sie in Form. Doch das Training oben und unten geht weit darüber hinaus.
Ärzte und Psychologen beraten seit Wochen über Mikrophone und Videokonferenzen, dank Kabeln ist die Verbindung trotz eingestürzter Gänge gut. Die Belüftung funktioniert ebenfalls, die Versorgung mit Lebensmitteln auch. Jeder der Eingeschlossenen hat durch die kontrollierte Ernährung im Schnitt sechs Kilo abgenommen. Sie seien vermutlich bei besserer Gesundheit als vor dem Unfall, erzählte der Chefarzt Andrés Llarena von der Marine der Zeitung El Mercurio.
Allerdings ist es in dem Verließ 31 Grad heiß und 85 Prozent feucht, das Klima, die Enge und Ungewissheit machen die Routine schwer erträglich. Die Bewohner der Tiefe bekommen nun Spezialgürtel der Nasa, der US-Kongress sicherte Unterstützung zu. So werden Blutdruck, Puls, Körpertemperatur und Sauerstoffgehalt ständig gemessen und können an der Oberfläche auf Monitoren überprüft werden.
Zudem wurde ihnen ein Programm verordnet, um den Körper für den Tag X zu stählen. Weitere Experten der Armee pilgerten nach San José, darunter Taucher. Die Milchsäure in den Muskeln soll kontrolliert werden wie bei Leistungssportlern, ehe die finale Belastung ansteht. Vor allem muss bei der Rückkehr ins Leben die Schwerkraft überlistet werden.
Die Übungen seien die gleichen "wie die von Kampfpiloten", sagt der Traumatologe und Sportmediziner Jean Romagnol dem Radiosender ADN. Das Blut schießt auf dem Weg ins Freie durch die Adern wie beim Start eines Düsenjets, sogar über spezielle Druckhosen wird nachgedacht. Sonnenbrillen werden geliefert, an Tageslicht sind die Kumpel seit bald zwei Monaten nicht mehr gewohnt. Demnächst soll Fénix auf einigen Metern ausprobiert werden. Und bevor es richtig losgeht, wollen ein Arzt und ein Minenretter hinuntergleiten, um beim Einsteigen zu helfen.
Etwa 20 Minuten pro Mann soll die Auffahrt dauern. Es wird ein Weltereignis. Und ein patriotisches Fest, der Nationalfeiertag zum 200. Jubiläum von Chiles Unabhängigkeit gab einen Vorgeschmack. Präsident Sebastián Piñera reiste an, die Kumpel sangen die Hymne. Bergbauminister Laurence Goldborne, inzwischen der populärste Politiker Chiles, und Gesundheitsminister Jaime Mañalich regeln jetzt die letzten Details, umgeben von einer Schar von Mitarbeitern.
Umgerechnet 7,1 Millionen Euro dürfte das gesamte Unternehmen kosten, die Minenfirma San Esteban muss bezahlen, ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Die Presse soll auf Tribünen gebändigt werden, 300 Meter vom Tatort entfernt, 250 Journalisten werden erwartet. Die Regierung plant eine offizielle Live-Übertragung, um fremde Kameras auf Abstand zu halten. Im Feldlazarett übernehmen Spezialisten die Erstversorgung im Lager La Esperanza, die Hoffnung. Danach werden die Patienten im Hubschrauber nach Copiapó geflogen oder in die Hauptstadt Santiago, aus dem Untergrund in die Luft.
Die Kräftigsten sollen zuerst in den Käfig namens Fénix steigen, danach die Älteren und Schwächeren. Als Kandidat für den Anfang gilt Édison Peña, der in der Minen angeblich jeden Tag zehn Kilometer weit läuft. Droben warten vor allem die Familien, für die Kinder wurde in dem Camp unterdessen eine Schule eröffnet. Die siebenjährige María Paz wünscht sich, dass ihr Vater Pedro Cortez als Erster aufsteigt, möglichst vor dem 20. Oktober. Das ist ihr achter Geburtstag.