Deutschlandtournee von Mariah Carey:Viva la Diva

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(Foto: N/A)

Seit Jahren muss die US-Sängerin mit der Diagnose "Bipolar-II-Störung" leben. Nur auf der Bühne merkt man Carey die Erkrankung nicht an.

Von Jan Kedves

Woran erkennt man eine richtig große Pop-Diva? An ihren mit Schmuckdiamanten besetzten Mikrofonen und den glitzernden XL-Getränkebechern, die sie sich reichen lässt? An den hübschen, breitschultrigen Männern, die sie auf der Bühne wie ein teures Geschenkpaket herumtragen, damit sie selbst niemals eine Stufe nehmen muss? Ach, das sind doch alles Oberflächlichkeiten. Die wahre Größe der Pop-Diva erkennt man daran, dass sie ihre Stimme über sensationelle fünf Oktaven schicken kann, hoch und noch höher, heller strahlend als bei Gott im Himmel.

Wobei man, wenn Mariah Carey ihre allerhöchsten Passagen im sogenannten Pfeifregister mühelos trillern lässt, nie auf die Idee käme, dass überhaupt so etwas wie körperliche Anstrengung involviert ist. Dort, wo die Hervorbringung von Sangeskunst scheinbar körperlos vonstatten geht, konzentriert man sich stattdessen auf das Gesicht - auf das Lächeln, das bei Carey wie das Lächeln jeder ordentlichen Diva nicht allein Frohsinn und Freude an der eigenen Laszivität vermittelt, sondern auch Schmerz, Enttäuschung, Traurigkeit. Zur Diva gehören diese Emotionen dazu. Und wer, wenn nicht Mariah, sollte bitte im Pop noch eine richtige Diva sein?

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Am Sonntag kommt die Sängerin, die konkurrierenden Angaben zufolge 49 oder 50 Jahre alt ist, im Rahmen ihrer aktuellen "Caution"-Tour für ein Konzert nach Deutschland, nach Hamburg. Mit der Tour bewirbt die New Yorkerin ihr gleichnamiges 15. Studioalbum, das im November erschienen ist. Darauf mischt sie routiniert Gospel mit Soul und R&B und avancierten Hip-Hop-Beats. Sie selbst bezeichnet sich als "elusive chanteuse" - was sich wahlweise als "scheue Chanteuse" oder "schlüpfrige Chanteuse" übersetzen ließe. Neuerdings ist sie aber auch offiziell eine "Ikone". Anfang Mai erhielt sie diese Auszeichnung bei den Billboard Music Awards in Las Vegas, für mehr als 200 Millionen verkaufte Tonträger und für ihre insgesamt 18-Nummer-eins-Hits, die sie in den Billboard-Single-Charts seit dem Song "Vision of Love" 1990 hatte.

Afro-venezolanische und irische Wurzeln

Sprich: In ihrer Heimat ist Mariah Carey gerade als Frau der Rekorde gefeiert worden, als eine, die für immer bleiben wird. Während der Gala konnte man gut noch einmal nachvollziehen, wie umgehend es bei Carey vom himmelhohen Jauchzen - sie sang ein Medley ihrer Neunziger-Jahre-Hits "Hero", "Emotions" und "Always Be My Baby" - übergehen kann zum Drama, zur Betrübtheit. "Ich fühle mich immer noch wie dieses verlorene, gemischtrassige Kind, das sehr viel Nerven hatte zu glauben, dass ich in dieser Welt überhaupt irgendetwas erreichen könnte", sagte sie sichtbar ergriffen, aber gefasst in ihrer Dankesrede.

Viele Menschen wissen es bis heute nicht: dass Mariah Carey eben keine weiße Sängerin ist. Beziehungsweise dass sie sich nicht als weiße Frau identifiziert, oder nie identifizieren durfte. Ihre Mutter ist irischer, ihr Vater afro-venezolanischer Abstammung. Sie ist "mixed-race", wie man im Amerikanischen sagt. Das bekam sie in der Schule zu spüren, sie wurde gehänselt, fühlte sich minderwertig.

Die perverse rassistische Kalkulation eben: Sobald auch nur ein einziger Tropfen vermeintlich dunklen Blutes durch deine Adern fließt, kannst du nicht weiß sein, auch wenn du vielleicht so aussiehst. Ihrer Karriere hat es vermutlich sogar genützt: Als Carey in den Neunzigerjahren zur ersten neuen Balladen- und R&B-Königin des damals gerade anbrechenden Hip-Hop-Zeitalters aufstieg, war sie quasi aus dem Stand erfolgreicher als Whitney Houston. Die konnte es stimmlich mit ihr aufnehmen, war aber erkennbar eine schwarze Frau.

Ihrem Talent für große Hits schien bei Mariah Carey immer ein gewisses Talent für privates Unglück entgegenzustehen - was dann wieder Material für neue Hits hergeben mochte, oder auch nicht. Sie durchlebte zwei Scheidungen (von teils viel älteren Männern), löste Verlobungen auf, trennte sich immer wieder von Boyfriends. Im vergangenen Jahr machte sie öffentlich, dass sie seit dem Jahr 2001 mit der Diagnose "Bipolar-II-Störung" lebt, das ist eine psychische Erkrankung, bei der die Abstürze in die Depression intensiver und länger anhaltend sind als die anschließenden Ausschläge nach oben in die sogenannte Hypomanie, eine mildere Form der Manie.

Als Live-Performerin bleibt Carey sensationell. Auf der Bühne scheint bei ihr jeder getroffene Ton unmittelbar ein körperliches Wohlempfinden auszulösen, und es ist höchst unterhaltsam, wie sie zwischendurch immer wieder zotige Witzchen reißt, à la: "Huch, wo kommen all diese schönen Männer her, die mich hier herumtragen?" Hat sie die sexy Pointen aus der Trickkiste von Mae West alle auswendig gelernt? Man würde sie das gerne fragen, aber sie gibt keine Interviews. Wie eine richtige Diva eben.

Man kann sie also auch nicht fragen, ob das wirklich so hundertprozentig o.k. ist, dass sie seit einer Weile fast immer zusammen mit ihren achtjährigen Zwillingen Moroccan und Monroe auftritt. Die gingen aus ihrer Ehe mit dem Schauspieler und Sänger Nick Cannon hervor, von ihm trennte sie sich 2014 wieder.

Kinder als moralische Unterstützung

Mariah Careys Fans kennen die beiden Kinder als "Dem Babies", wobei man eben nicht ganz versteht, ob Carey eine derart überfürsorgliche Mutter ist, dass sie keiner Kinderbetreuerin der Welt zutraut, ihre Zwillinge mal zwei Stunden lang hinter der Bühne artgerecht bei Laune zu halten? Eher ist da der Eindruck, dass Carey ihre Kinder deswegen nie aus den Augen, und damit auch nicht aus dem Rampenlicht, lässt, weil sie so etwas wie emotional support kids für sie sind: Assistenzkinder eines Stars, der möglicherweise innendrin doch einsam ist. Und wenn es so ist: Was mag aus diesen Kindern einmal werden?

Man weiß es nicht, man kann nur die Daumen drücken. Bis dahin ist Mariah Carey die Diva der Widersprüche. Von der Tragik kann man die Augen nicht abwenden, vor der Stimme die Ohren nicht verschließen. Am Sonntag in Hamburg werden ihre Fans mit ihr feiern und lachen, sie als R&B-Braut, als Balladen-Engel, als Mutter und Diva feiern - und mit ihr, oder für sie, ein paar Tränen rollen lassen.

© SZ vom 01.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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