Mafia auf Korsika:Mörderische Meeresbrise

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Eine Bande zerstört sich selbst: Das Rätsel um eine Mordserie in der korsischen Mafia ist offenbar aufgeklärt. Die Gier der Anführer wurde der Gruppe zum Verhängnis.

Stefan Ulrich

Es war ein mörderisches Jahr auf der "Insel der Schönheit", wie sich Korsika nennt. 28 Morde listet die Justiz in ihrer Bilanz für 2009 auf. Damit hält Korsika, auf die Einwohnerzahl gerechnet, eine traurige Spitzenstellung in Europa, noch vor Sizilien. "Die Zahl der Morde ist tatsächlich sehr hoch", räumt Paul Michel, der Generalstaatsanwalt von Bastia, ein.

Im schönen Hafen von Bastia begann die Geschichte der korsischen Gangsterbande "Brise de mer" einst - mit einem Pokerspiel. (Foto: Foto: picture-alliance/SZ)

Die Täter gehörten oft rivalisierenden Banden an, die Mafia-Methoden benutzten. "Diese Gruppen von Kriminellen bringen sich gegenseitig um", weiß der Ermittler. Besonders heimgesucht wurde eine Bande, die unter dem lauschigen Namen "Brise de mer" - Meeresbrise - über Jahrzehnte Schrecken verbreitete, die organisierte Kriminalität in Frankreich prägte und als unbesiegbar galt. Die Fahnder rätseln, warum "la Brise" zuletzt durch zahlreiche Anschläge dahingerafft wurde. Jetzt möchte ein Kronzeuge das Rätsel aufklären.

Doch der Reihe nach: Es war einmal eine Kneipe im alten Hafen von Bastia, die nannte sich "Meeresbrise". Dort kamen Ende der siebziger Jahre etliche jüngere Männer aus, wie es heißt, guten Familien zusammen. Sie spielten Poker und schmiedeten Pläne, um zu Geld und Macht zu kommen. Die Gruppe wuchs zu einer gut organisierten Bande zusammen. Aus den Kleinkriminellen wurden Schwerkriminelle, die Banken und Geldtransporter überfielen und ihre Raubzüge bis nach Paris und ins Ausland ausdehnten.

Weltberüchtigte Mafiagruppe

Die Ermittler tauften die Bande nach ihrer Kneipe "Brise de mer". Weltberüchtigt wurde die mafiaartige Gruppe, als sie 1990 eine Filiale der Schweizer UBS-Bank in Genf überfiel und 31 Millionen Franken erbeutete. Bis heute konnte keiner der Täter überführt werden. Das Geld blieb verschwunden. Auch die korsische Justiz tat sich schwer mit der "Meeresbrise", die an die jahrhundertealten Traditionen des "banditisme", des Banditentums auf Korsika anknüpfte.

"Niemand wird es wagen, gegen sie auszusagen", klagte einmal ein hoher Ermittler in Bastia. Die Bande weitete ihre Geschäfte ungestört aus. Sie wusch ihr Geld beim Bau von Hotels, Restaurants und Ferienvillen, kontrollierte Nachtclubs und Casinos, setzte sich an der Côte d'Azur und in Marseille fest, knüpfte kriminelle Bande mit Russland. Auf Korsika dominierte sie die Unterwelt des Nordteils, während im Süden eine Bande namens "Petit Bar" vorherrschte.

So gut liefen die Geschäfte der Meeresbrise, dass ihre Bosse heute einen luxuriösen Ruhestand genießen könnten. Doch dann begann im April 2008 ein Gemetzel in den Reihen der Bande. Mehrere ihrer Führer wurden erschossen oder fielen dubiosen Unfällen zum Opfer.

In der Justiz und den französischen Medien machten verschiedene Theorien die Runde. Mal hieß es, rivalisierende korsische Clans setzten der Brise zu, mal wurde die russische Mafia verantwortlich gemacht, mal war von einem "Bruderkrieg" innerhalb der Meeresbrise die Rede. Claude C., ein mutmaßliches Mitglied, hat nun vor der Justiz in Marseille detailliert gestanden, warum die letzte These zutreffend sei.

Bruderkrieg in der Brise

Der Niedergang der Brise wäre demnach der Gier ihrer Anführer geschuldet. Nachdem im November 2006 Jean-Jé Colonna, der als Pate Südkorsikas galt, gestorben war, sahen die Bosse der Meeresbrise offenbar die Gelegenheit gekommen, auch die Geschäfte im Süden unter ihre Kontrolle zu bringen. Dabei gerieten sich Richard Casanova und François Mariani in die Quere, die zur Gründergeneration der Brise de mer gehören sollen. Der Zeuge Claude C. diente seinerzeit Mariani als Chauffeur. Laut seiner Aussage, aus der die Zeitung Le Monde zitiert, brachte Mariani seinen Rivalen Casanova persönlich um und entfesselte dadurch den Bruderkrieg der Brise.

Claude C. schildert jenen blutigen Frühjahrsmorgen im Jahr 2008, an dem Casanova, genannt "Charles" oder "der Lügner", im malerischen Touristenstädtchen Porto-Vecchio getötet wurde. Claude C. fuhr damals mit Mariani, genannt "Francis", zu einer Autohandlung, in der sich Casanova gerade befand. Mariani befahl seinem Fahrer Claude C., im Wagen zu bleiben, und machte sich ans Werk. Als Casanova aus dem Autohaus kam, wurde er von einer Maschinengewehrgarbe niedergestreckt. Bald darauf stieg Mariani wieder zu Claude C. ins Auto und berichtete von seinem Mord.

Casanovas schreckliches Ende

So erzählt es der Zeuge. Ob man ihm glaubt oder nicht - seit Casanovas Tod kam die Brise de mer nicht mehr zur Ruhe. Immer wieder wurden Bandenmitglieder umgebracht, zuletzt vergangenen November.

Auch Mariani ist mittlerweile tot. Die Polizei fand seine verkohlte Leiche in den Resten eines Bauernschuppens zwischen Weinbergen im korsischen Hinterland. Der Schuppen war explodiert. Augenzeugen schilderten, der Schauplatz habe ausgesehen wie nach einem Flugzeugunglück. In den Trümmern entdeckte die Polizei Stücke von Marianis Mobiltelefon. Womöglich hatte ein Anruf eine Sprengladung ausgelöst.

Die Brise de mer dürfte sich schwerlich von all den Morden erholen. Zyniker haben sie in "Brise de mort" - "Todesbrise" - umgetauft. Das Magazin L'Express spricht vom "Ende einer Epoche". Auch die Hafenkneipe namens Brise de mer gibt es nicht mehr. Sie wurde nach einer Schießerei geschlossen und wird heute unter anderem Namen geführt.

© SZ vom 19.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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