Die internationale Gemeinschaft bemüht sich um schnelle Hilfe für die vielen Überschwemmungsopfer nach der Flutkatastrophe in Libyen. Sowohl die Vereinten Nationen als auch die EU haben das zugesichert. Auch die Bundesregierung will helfen, ein entsprechendes Hilfeersuchen aus Libyen liegt vor. Die Luftwaffe schickt nun Hilfsgüter des Technischen Hilfswerks (THW) in das Katastrophengebiet. An diesem Donnerstag sollen zwei Transportflugzeuge starten, die Matratzen, Zelte, Decken, Feldbetten und Generatoren nach Libyen bringen.
Die Lage vor Ort bleibt dramatisch. Auch die jüngste, schreckliche Zahl der Todesopfer, die der Bürgermeister von Derna am Mittwoch im Sender Al Arabiya genannt hat, könnte wieder nur vorläufig bleiben. Mit 18 000 bis 20 000 Toten rechne er, sagt Abdulmenam al-Ghaithi. Die Zahl ergibt sich in diesem Fall nicht aus Zählungen von Leichen, die Rettungskräfte gefunden haben oder aus Vermisstenmeldungen, anhand derer sich sagen ließe, wie viele Menschen die verheerende Flutkatastrophe vom Sonntag wohl nicht überlebt haben.
Vermisstenmeldungen gibt es zwar, von 10 000 ist am Mittwoch die Rede, aber die Zahl ist vermutlich zu niedrig angesetzt. Zu chaotisch ist die Lage, zu überfordert sind die Rettungskräfte in Derna, jener Stadt am Mittelmeer, die am schlimmsten betroffen ist.
Durch das viele Wasser brachen in den Bergen oberhalb von Derna zwei Staudämme. Sie waren in den 1970er-Jahren konstruiert worden und sollen marode gewesen sein. Als sie brachen, raste eine Flutwelle hinab Richtung Küste und riss alles mit. Autos, Bäume, Brücken, Häuser, nein, nicht nur Häuser, ganze Straßenzüge. Auf Drohnenaufnahmen sieht man, wie ganze Viertel in meterhohem Schlamm versunken sind.
Al-Ghaithi weiß, welche Viertel in seiner Stadt zerstört sind, völlig zerstört, dort steht kaum noch ein Gebäude. Anhand der Einwohnerzahl kalkuliert der Bürgermeister, wie viele Tote es sein dürften. Von 5300 war vonseiten der ostlibyschen Regierung bis zum Mittwoch die Rede gewesen, 5300 allein in Derna wohlgemerkt. Nun könnte es also die dreifache, vielleicht vierfache Zahl sein.
Nur schleppend gehen die Aufräum- und Bergungsarbeiten voran. Viele der betroffenen Gebiete sind komplett von der Außenwelt abgeschnitten, es gibt keinen Strom, keinen Handyempfang. Zusätzlich erschwert wird die Lage dadurch, dass Libyen de-facto ein in Ost und West geteiltes Land ist. Zwei rivalisierende Regierungen bekämpfen sich seit Jahren und alle internationalen Bemühungen, den Konflikt beizulegen, waren bisher erfolglos. Das politische Chaos wirkt sich auch negativ auf die Katastrophenhilfe nach der Flut aus. Die britische BBC zitiert einen libyschen Journalisten, der beklagt, dass es insbesondere zu Anfang keinerlei Absprache zwischen beiden Landesteilen gegeben habe.
Hunderte Tote, die nicht identifiziert werden konnten, sollen in Massengräbern bestattet worden sein
Drei Tage ist es inzwischen her, dass Sturmtief Daniel, das zuvor auch in Griechenland gewütet hatte, Libyen erfasst hat. Viele Opfer lägen noch unter Trümmern verschüttet oder seien ins Meer gespült worden, sagte ein Minister der Regierung im Osten, der die Unglücksregion zuvor besucht hatte. Die Hoffnung, noch Lebende unter Trümmern zu finden, schwindet. Auf etwa 72 Stunden taxieren Rettungsexperten die Zeit, in der ein Mensch ohne Wasser auskommen kann.
Mit den Bestattungen kommen die Behörden in der Katastrophenregion kaum hinterher. Hunderte Tote, die nicht identifiziert werden konnten, seien in Massengräbern beerdigt worden, heißt es von der libyschen Regierung. Videos in sozialen Medien zeigten Fahrzeugkolonnen, die Tote abtransportierten.
Wie die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen mitteilte, soll an diesem Donnerstag ein Notfallteam aus Logistikern und medizinischem Personal in Derna eintreffen, "um den medizinischen Bedarf zu ermitteln". Man bringe zudem medizinische Notfallausrüstung zur Behandlung von Verletzten und Leichensäcke für Libyens Hilfsorganisation Roter Halbmond. "Wir brauchen einfach Leute, die die Situation verstehen - logistische Hilfe, Hunde, die Menschen riechen können und sie aus dem Boden holen. Wir brauchen einfach humanitäre Hilfe, Leute, die wirklich wissen, was sie tun", sagte ein libyscher Arzt, der in einer Klinik nahe Derna arbeitet, dem britischen Sender BBC.