Theatermacherin:Christiane Rösinger begibt sich auf die Suche nach Klasse

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Die Sängerin Christiane Rösinger, aufgenommen am Samstag (22.01.2011) in Frankfurt/Main. (Foto: picture alliance / dpa/Archivbild)

Ob Theaterpublikum im Jahr 2023 noch Aufstand gegen „die Verhältnisse“ probt? Unklar. Indie-Ikone Christiane Rösinger bringt jedenfalls einen Agitprop-Abend in Berlin-Kreuzberg auf die Bühne.

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Berlin (dpa) - Mit dem Stück „Die große Klassenrevue“ versucht sich die Musikerin und Theatermacherin Christiane Rösinger in der Tradition von Erwin Piscators Agitationstheater der Weimarer Republik. Die Premiere der rund 100-minütigen Nummernrevue mit Video- und Tanzelementen, Songs und Sketchen wurde am Mittwochabend im Berliner Hebbel-Theater (Hebbel am Ufer/HAU) begeistert aufgenommen.

Fast alles reimt sich an diesem Abend des „Reichen-Shamings“, etwa „Unterschicht, das sagt man nicht - Wir sagen alle Mittelschicht“. Gegen die Behauptung, Klassen und Proletariat seien passé, wird angesungen mit Job-Beispielen: Koch, Erzieherin, Bauarbeiter, Pflegepersonal, Paketpacker bei Amazon oder auch Zugbegleiterinnen.

Zum Nachdenken bringen sollen in der plakativen Revue Lieder mit Textzeilen wie „Für die Mittelschicht reichen meine Mittel nicht“ oder „Umverteilung is the only way“ (auf die Melodie der Popballade „Eternal Flame“ der Band The Bangles). Es gibt auch Anspielungen auf „Die Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill sowie auf das Aufstieg-durch-Sprache-Musical „My Fair Lady“. Die Idee, es gebe heute noch „Aufstieg durch Leistung“, will das Stück als Lüge entlarven - eigentlich gebe es nur noch „Wohlstand durch Erben“.

Die Highlights

Die österreichische Schriftstellerin Stefanie Sargnagel mimt gekonnt die absurde Figur einer „Erbschamtherapeutin“. Im Stil eines „Anne Will“-Talkshowgasts erzählt außerdem die Figur einer Streetworkerin aus einem Berliner Villenviertel, sie habe die Reichenclans satt, die in einer Parallelgesellschaft lebten, sich abschotteten und in ihrer Wohlstandsverwahrlosung beratungsresistent seien.

Der Hintergrund

Im HAU-Programm steht zu dem Rösinger-Abend „Agitpop“ ohne „r“. Die Nähe zum leninistischen Begriff Agitprop (Agitation und Propaganda), also die indoktrinierende Arbeit, Publikum zu aktivem Klassenkampf und revolutionärem Bewusstsein zu bringen, ist gewollt und ironisch gebrochen. Die Form des Abends nimmt Bezug auf Erwin Piscators proletarische „Revue Roter Rummel“. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) zeigte sie 1924 als Wahlkampfveranstaltung.

Die Macherin

Songwriterin und Schriftstellerin Christiane Rösinger (62) ist eine Ikone des deutschen Indie-Rock. Bekannt wurde sie mit den Lassie Singers („Die Pärchenlüge“), der Band Britta („Irgendwas ist immer“) und auch solo („Berlin“). Sie stammt aus dem Badischen, beschreibt ihre Herkunft mit „katholisches Bauernmädchen“. Seit den 80ern lebt sie in Berlin-Kreuzberg. Am Theater HAU brachte sie schon ein wohnungspolitisches Musical („Stadt unter Einfluss“) und ein feministisches Singspiel („Planet Egalia“) auf die Bühne.

© dpa-infocom, dpa:230921-99-273841/2

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