NRW-Innenminister:Reul über gestiegene Zahl ausländischer Verdächtiger

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Herbert Reul, Innenminister von Nordrhein-Westfalen. (Foto: Roberto Pfeil/dpa)

Die Analyse auffälliger Kriminalitätszahlen bei Migranten gilt vielen Politikern als vermintes Feld. In NRW übt sich Innenminister Reul in dem Balance-Akt, Fakten zu benennen, ohne Stimmung zu machen.

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Düsseldorf (dpa/lnw) - Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hat noch vor der offiziellen Vorstellung der Kriminalitätsstatistik auf einen gestiegenen Anteil ausländischer Tatverdächtiger hingewiesen. Ihr Anteil an allen Tatverdächtigen sei im vergangenen Jahr auf 34,9 Prozent gestiegen, im Vorjahr habe der Wert bei 32,8 gelegen, sagte Reul am späten Dienstagabend in Düsseldorf. Dabei seien ausländerrechtliche Straftaten nicht mitgezählt. Die Zahl ausländischer Tatverdächtiger wuchs laut Reul im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr um 10,4 Prozent auf 169 215. „Man muss Zahlen benennen, damit man sich überhaupt darum kümmern kann“, sagte Reul am Mittwoch im Mittagsmagazin von WDR 2.

Zu berücksichtigen sei, dass der Anteil der nicht-deutschen Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen ebenfalls gewachsen sei, wobei für das Jahr 2023 bei der Einwohnerstatistik noch keine Zahl vorliege, sagte Reul. Zudem spielten auch Faktoren wie Armut, Alter, Geschlecht und Kultur als Kriminalitätsfaktoren eine Rolle.

Weiterhin erfasst die Kriminalitätsstatistik auch die Straftaten reisender ausländischer Krimineller, aber nicht die Straftaten von NRW-Bürgern im Ausland. Andererseits werden Doppelstaatler in der Statistik als deutsche Tatverdächtige erfasst.

Überproportionaler Anteil ausländischer Verdächtiger

Der Anteil ausländischer Verdächtiger an den Straftaten ist seit Jahren etwa doppelt so hoch wie der Anteil von ausländischen Menschen an der Bevölkerung im Land. Bei einem Bevölkerungsanteil von 15,6 Prozent 2022 betrug der Anteil an den Tatverdächtigen 32,8 Prozent - ausländerrechtliche Straftaten nicht mitgezählt.

Am stärksten sind ausländische Verdächtige nach Angaben des Ministers beim Taschendiebstahl vertreten - mit 80,1 Prozent. Beim Ladendiebstahl seien es 47,6 Prozent und bei Wohnungseinbrüchen 47,3 Prozent. In diesen Bereichen gelten reisende Banden als besonders aktiv.

„An der Abrisskante“ zwischen Aufklärung und Ausländerhass

„Eigentumsdelikte sind Armutsdelikte. Integration ist Arbeit. Rosig ist das nicht“, sagte Reul. „Ich erwarte, dass Menschen, die bei uns Schutz suchen, sich anpassen und nach Recht und Gesetz verhalten.“ Von Verhältnissen wie in den Pariser Vorstädten sei man aber weit entfernt.

„Die Gefahr ist ja groß, dass so eine Debatte wabert: Die Ausländer sind die eigentlichen Kriminellen“, warnte er im WDR-Interview. „Und dann entsteht so was wie Ausländerhass und Feindschaft.“ Genau das wolle er stoppen, indem er über realistische Zahlen rede. „Die Leute haben so ein Gespür, dass da was nicht stimmt und ich glaube, wir müssen es benennen.“ Damit begebe man sich damit allerdings „an eine Art Abrisskante“, um nicht denen in die Karten zu spielen, die Ausländerfeindlichkeit im Volk schüren wollten.

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Julia Höller, wollte erst die gesamte Kriminalstatistik abwarten, um sich einen breiteren Überblick zu verschaffen. Sie befürchte, „dass rechtsextreme Kräfte der AfD den Anteil der nicht-deutschen Tatverdächtigen nun für ihre rassistischen Zwecke instrumentalisieren“, wie sie der „Siegener Zeitung“ sagte.

Reul betonte, er habe keine Informationen, wie viele Tatverdächtige am Ende auch tatsächlich schuldig verurteilt worden seien. Wichtig sei aber, jedem klarzumachen: „Hier gibt es nicht das Faustrecht, hier gibt es auch nicht das Recht der Familie, sondern hier herrscht nur ein Recht, nämlich das Recht des Staates.“

Auch die SPD-Opposition betonte in einer Mitteilung: „Menschen, die nach Deutschland kommen, haben sich an unsere Gesetze zu halten. Wer schwere Straftaten begeht, muss - wo es rechtsstaatlich möglich ist - auch ausgewiesen werden.“ Der hohe Anteil nicht-deutscher Tatverdächtiger in der Kriminalitätsstatistik sei problematisch und dürfe nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

SPD: Reuls Bilanz offenbart eigenes Versagen

Allerdings sei in den sieben Jahren mit Reul als Ressortchef „der Zustand der inneren Sicherheit sehr viel schlechter geworden“, meinte die innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Christina Kampmann. „Nach wie vor gibt es insbesondere bei der Kripo ein drastisches Personalproblem.“ Experten schätzten allein in diesem Bereich den zusätzlichen Bedarf auf rund 1000 Beamte. Bei der Polizei insgesamt seien überdies mehr als 2850 Stellen unbesetzt, in der Justiz gut 2500. „Das gefährdet die Bekämpfung und strafrechtliche Ahndung von Kriminalität massiv“, bemängelte Kampmann. „Fast 25 000 nicht vollstreckte Haftbefehle zum Stichtag Januar 2023 sind dafür der traurige Beweis.“ Insofern seien Reuls neue Bilanzen „auch Zahlen seines eigenen Versagens“.

Reul hatte das Ministeramt 2017 von seinem sozialdemokratischen Vorgänger Ralf Jäger übernommen. Ihm hatte die damalige Opposition vorgeworfen, in seiner Amtszeit hätten sich „No-go-Areas“ mit kriminellen Ausländer-Clans im Ruhrgebiet sowie Salafisten-Nester entwickelt. Auch Jäger hatte dafür gestanden, überproportionale Täter-Anteile bestimmter Ausländergruppen nicht unter den Teppich zu kehren und hatte entsprechende Berichte vorgelegt.

Lösungen - Fehlanzeige

Um kriminelle Karrieren zu verhindern, seien nun die Anstrengungen für die Bildung und Integration von Migranten zu verstärken, forderte Kampmann. Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, allen Menschen gleiche Chancen zu gewähren. „Von Innenminister Reul haben wir dazu bisher leider keinerlei Lösungsvorschläge vernommen.“

Reul hatte in den vergangenen Wochen mehrfach gewarnt, Grenzen der Integrationsfähigkeit nicht zu überschreiten und den Zuzug nach Deutschland zu begrenzen.

© dpa-infocom, dpa:240320-99-398976/4

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