Berlin:Kinderschutz-Bilanz: 366 Mal ein schlimmer Verdacht

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Berlin (dpa/bb) - Die getrennt lebenden Elternteile machen sich heftige Vorwürfe: Sie beschuldigen sich gegenseitig, den sechs Jahre alten Sohn zu schlagen. Was ist in der Familie los? Wenn sich etwa Jugendamtsmitarbeiter und Kinderärzte unsicher sind, ob das Wohl eines Kindes gefährdet ist, können sie seit einem Jahr weiteren Rat einholen. Fünf sogenannte Kinderschutzambulanzen finanziert das Land Berlin an Kliniken - und sie sollen über 2017 hinaus weiterbestehen, wie Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) am Montag bei der Vorstellung der ersten Bilanz ankündigte. Ziel ist es, Kinderschutzfälle frühzeitig zu erkennen.

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Berlin (dpa/bb) - Die getrennt lebenden Elternteile machen sich heftige Vorwürfe: Sie beschuldigen sich gegenseitig, den sechs Jahre alten Sohn zu schlagen. Was ist in der Familie los? Wenn sich etwa Jugendamtsmitarbeiter und Kinderärzte unsicher sind, ob das Wohl eines Kindes gefährdet ist, können sie seit einem Jahr weiteren Rat einholen. Fünf sogenannte Kinderschutzambulanzen finanziert das Land Berlin an Kliniken - und sie sollen über 2017 hinaus weiterbestehen, wie Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) am Montag bei der Vorstellung der ersten Bilanz ankündigte. Ziel ist es, Kinderschutzfälle frühzeitig zu erkennen.

Im Fall des Sechsjährigen, von dem die Ambulanz des Vivantes-Klinikums in Neukölln verfremdet als Beispiel berichtet, fanden Mediziner ältere Verletzungsanzeichen auf dem Rücken. Ob Gewalt dahintersteckt, können die Ärzte nicht mit Sicherheit sagen, auch die Aussagen des Kindes sind nicht eindeutig. Sie empfehlen, die Erziehungsfähigkeit der Eltern zu prüfen - „dringlicher Handlungsbedarf“ des Jugendamts oder eines Familiengerichts, so das Fazit. In 366 Verdachtsfällen wie diesem sind Kinderschutzambulanzen seit ihrem Bestehen involviert gewesen, sagte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) - etwa ein Fall pro Tag.

Den Verdacht sahen die Ambulanzen bei knapp 30 Prozent dieser Kinder und Jugendlichen eindeutig bestätigt. In 23 Prozent der Fälle wurde eine Kindeswohlgefährdung eindeutig ausgeschlossen. Die Zahlen zeigten, dass die Einrichtungen in Berlin gefehlt hätten und dass es gelungen sei, noch mehr Kinder zu schützen, so Scheeres. Übrig bleibt allerdings mit rund der Hälfte der Fälle ein Graubereich, in dem eine Gefährdung, wie im Fall des Sechsjährigen, nicht ausgeschlossen ist - und in dem es für die Kinderschutz-Akteure am Ball zu bleiben gilt.

Bei bestätigter Gefährdung muss das Jugendamt eingreifen und zum Beispiel prüfen, ob das Kind aus der Familie genommen wird. Am häufigsten waren Fälle körperlicher Misshandlung, vor sexuellem Missbrauch und Vernachlässigung, sagte Kolat. Die Jugendämter überwiesen die meisten Fälle an die neuen Ambulanzen.

Die Kinderschutzambulanzen sind an Kliniken in Mitte, Neukölln, Buch, Charlottenburg und Tempelhof angedockt und kooperieren mit der schon länger bestehenden Gewaltschutzambulanz der Charité. Dort seien nun sechs Ärzte tätig, die auch an Kinderschutzambulanzen vorbeischauen können, so Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Von April 2016 bis April 2017 sei die Gewaltschutzambulanz in 87 Fällen hinzugezogen worden. Dabei wurden demnach vor allem Verletzungen durch Schläge festgestellt, aber auch Verbrühungen und Verbrennungen.

Insgesamt gibt es bei den Berliner Jugendämtern jedes Jahr aber mehr als 3000 Fälle, in denen eine Kindeswohlgefährdung unklar ist, sagte Matthias Brockstedt vom Gesundheitsamt Mitte. Er geht deshalb in Zukunft von etwa 500 Fällen pro Jahr in den Ambulanzen aus. Die Frage werde sein, ob das Angebot nicht noch ausgeweitet werden müsse. Mit den ersten Erfahrungen und Daten gelte es, auch Druck auf Krankenkassen zu machen, die Kosten zu übernehmen - bislang zahlt das Land.

Die Ambulanzen selbst verfügen über eine Schwesternstelle, die je nach Fall einen Fachmediziner hinzuzieht. Voraussetzung für die Untersuchung ist das Einverständnis der Eltern. „Eltern sind da oft auch ganz dankbar“, sagte der Ärztliche Leiter der Ambulanz in Neukölln, Sylvester von Bismarck. Die Ambulanzen seien nicht so stigmatisiert wie das Jugendamt - und meistens wüssten die Eltern ja, dass in der Familie etwas schieflaufe und sie Hilfe bräuchten.

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