Studie:Polizeipräsenz kann Sicherheitsgefühl negativ beeinflussen

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Zwei Polizisten der Polizeiinspektion 11 gehen in der Innenstadt auf Streife. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Fühlen sich Menschen sicherer bei erhöhter Polizeipräsenz? Eine neue kriminologische Untersuchung zeigt, dass das Gegenteil der Fall sein kann.

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Kassel/Gießen (dpa/lhe) - Die Wahrnehmung von Polizeipräsenz kann zu einem größeren Unsicherheitsgefühl bei Menschen führen, selbst wenn sie sich vorher genau diese Maßnahmen gewünscht haben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die den Einfluss von Polizeipräsenz auf das Sicherheitsgefühl und die Kriminalitätslage in Kassel untersucht hat. „Mehr Polizeipräsenz führt demnach zu mehr Unsicherheitsgefühl bei den Menschen“, sagte der Projektleiter und Kriminologe Tim Pfeiffer von der Justus-Liebig-Universität in Gießen (JLU) bei der Präsentation der Studienergebnisse am Montag in Kassel. Die Professur für Kriminologie an der JLU hat die Untersuchung in Kooperation mit dem Polizeipräsidium Nordhessen und der Stadt Kassel durchgeführt.

Sähen Menschen zum Beispiel beim Blick aus dem Wohnungsfenster häufiger die Polizei, könne sich das negativ auf das Sicherheitsgefühl auswirken, erläuterte Pfeiffer. „Es scheint die Meinung vorzuherrschen: Wo Polizei ist, da passiert auch was.“ Das sei paradox, wünschten sich doch bei internationalen Befragungen knapp zwei Drittel der Teilnehmer mehr Polizeipräsenz, um die Sicherheit in ihrer Stadt zu verbessern.

Zu der untersuchten Frage, ob die Präsenz auch die gewünschte Wirkung habe, gäbe es bislang kaum aussagekräftige wissenschaftliche Untersuchungen, erklärte Pfeiffer. Das Feldexperiment in Kassel sei das Erste seiner Art bundesweit. Die signifikanten Ergebnisse ließen sich auf die gesamte Bundesrepublik übertragen.

Im Rahmen des Experiments in der nordhessischen Stadt gaben laut Pfeiffer in den Jahren 2022 und 2023 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger in zwei stadtweiten Befragungen Auskunft über ihr Sicherheitsgefühl. Ohne ihr Wissen fand in den zwölf Monaten zwischen den Befragungen in ebenfalls zufällig ausgewählten Bereichen der Stadt eine gezielte Verstärkung der Streifentätigkeit uniformierter Polizistinnen und Polizisten in ihrer Wohngegend statt. Dabei waren zwei- bis dreimal wöchentlich jeweils zwei Polizistinnen und Polizisten durchschnittlich 13 Minuten als Fußstreifen unterwegs. Der Funkwagen war währenddessen geparkt. In Kontrollgruppen gab es keine Veränderung der Polizeipräsenz.

Die Befragung habe ergeben, dass das Unsicherheitsgefühl der Menschen mit erhöhter Polizeipräsenz in ihrer Wohngegend signifikant zugenommen habe, erläuterte Pfeiffer. Zudem nahm die Wahrnehmung von Drogenabhängigen, Betrunkenen und Lärmbelästigungen als Problem in der Wohngegend anders als in den Kontrollgruppen zu. Pfeiffer sprach vor dem Hintergrund der Ergebnisse von einem Präsenzparadoxon. „Stellen Sie sich vor, das Sicherheitsgefühl nimmt ab, die Bevölkerung wünscht sich mehr Polizei. Sie setzen mehr Polizei ein. Die Bevölkerung fühlt sich unsicher, nimmt verstärkt Probleme wahr und wünscht sich deswegen Polizei, damit die diese Probleme löst. Das ist ein Teufelskreis.“

Das Experiment zeige aber nicht, dass Polizeipräsenz nicht gebraucht werde, sagte Pfeifer. „Das wäre ein Fehlschluss.“ Sie sei in bestimmten Situationen sehr vielversprechend und da müsse sie zum Einsatz kommen. „Wo genau, dafür braucht es weitere Forschung“, so der Kriminologe.

© dpa-infocom, dpa:240422-99-765705/3

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