Prozess gegen Kindermörder Silvio S.:Sehr erhöhtes Rückfallrisiko

Lesezeit: 4 min

Der zweifache Mörder Silvio S. wird von einem Justizbeamten in einen Verhandlungssaal des Landgerichts Potsdam geführt. (Foto: dpa)
  • Das Landgericht Potsdam prüft im Revisionsprozess gegen Silvio S., ob der Mörder zweier Jungen auch nach seiner lebenslangen Freiheitsstrafe in Haft bleiben muss.
  • Der BGH hatte entschieden, dass das Gericht erneut klären muss, ob bei S. ein Hang zur Begehung weiterer Straftaten vorliegt.
  • Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass S. noch mehr Verbrechen begangen hätte, wäre er nicht im Herbst 2015 festgenommen worden.

Von Thorsten Schmitz, Potsdam

Aldiana Januzi steht an diesem trüben Frühlingstag vor dem Landgericht in Potsdam, begleitet von ihrer Schwester. Ihre Augen zucken, wenn sie redet, sie sind gerötet. Die vierfache Mutter aus Bosnien-Herzegowina sagt, sie habe keine Tränen mehr. Sie habe ununterbrochen geweint, seit Oktober 2015. Aldiana Januzi hat vier Kinder zur Welt gebracht, aber es leben nur noch drei. Ihr Sohn Mohamed ist im Alter von vier Jahren von Silvio S. ermordet worden. Für diese Tat und den Mord an dem sechs Jahre alten Grundschüler Elias aus Potsdam ist der heute 35 Jahre alte Wachmann aus dem brandenburgischen Dorf Kaltenborn 2016 rechtskräftig verurteilt worden. In einem Prozess, der die ganze Republik erschüttert hatte. Die Details zu den von Silvio S. begangenen Taten sind teilweise kaum auszuhalten.

Er hatte auch einige Missbrauchsszenen mit dem Handy gefilmt. Diese Filme wurden beim ersten Verfahren nur der Großen Kammer gezeigt. Mohamed, hieß es im Urteil, habe vor Todesangst nach seiner Mutter geschrieen. Nun wird das Verfahren neu aufgerollt, der Bundesgerichtshof (BGH) hat dies verfügt, nachdem die Staatsanwaltschaft Revision gegen das Urteil von Silvio S. beantragt hatte. In dem nun zweiten Vefahren, das am Freitag wegen eines Befangenheitsantrags der Verteidiger von Silvio S. mit erheblicher Verzögerung eröffnet wurde, soll geprüft werden, ob Silvio S. zusätzlich zur lebenslangen Freiheitsstrafe und der Anerkennung der Schwere der Schuld auch eine Sicherheitsverwahrung bekommt. Das hieße, dass Silvio S. nie wieder aus der Haft entlassen würde.

Prozess gegen Silvio S.
:"Was hast du mit meinem Kind gemacht?"

Von "unbegreiflichen Straftaten" spricht der Richter. Für die Morde an den Jungen Elias und Mohamed erhält Silvio S. beinahe das härteste Urteil, das das deutsche Strafrecht vorsieht.

Von Sophie Burfeind, Potsdam und Oliver Klasen

"Sehr hohes Risiko"

Die Staatsanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass er ein Trieb- und Serientäter ist mit ausgeprägtem Hang, Kinder sexuell zu missbrauchen und zu töten. "Hang" ist, wie ein psychiatrischer Gutachter vor Gericht erklärte, ein juristischer Fachbegriff, der allerdings nicht auf psychiatrischer Diagnostik beruhe. Er könne daher nicht sagen, ob Silvio S. einen Hang habe, solche Taten zu verüben, zumal S. zu allen Fragen seine grausamen Taten betreffend schweigt. Dagegen erklärte ein forensischer Psychologe der JVA Brandenburg Havel, der einen Prognosetest mit Silvio S. gemacht hat, bei Silvio S. bestehe ein "sehr hohes Risiko", dass dieser zum gegenwärtigen Zeitpunkt erneut solche Taten begehen würde.

Auch Staatsanwalt Peter Petersen ist überzeugt, dass Silvio S. noch mehr Verbrechen begangen hätte, wäre er nicht im Herbst 2015 festgenommen worden - nachdem die Mutter von Silvio S. ihren Sohn auf Fahndungsfotos erkannt hatte, die den Sohn von Aldiana Januzi an der Hand von S. zeigten auf dem Lageso-Gelände, mit einem Kuscheltier. Nach seiner Festnahme hatte S. gestanden, auch den damals sechs Jahre alten Elias in Potsdam von einem Spielplatz gelockt, betäubt, sexuell missbraucht und getötet zu haben. Die Mutter hatte ihrem Sohn damals zum ersten Mal erlaubt, alleine auf einen Spielplatz vor ihrer Parterrewohnung zu gehen. Als sie ihn zum Abendbrot abholen wollte, war Elias bereits in den Händen von S. und wurde von ihm mit Chlorofol betäubt und anschließend mehrfach sexuell missbraucht. Den Leichnam von Elias vergrub S. auf einer Gartenparzelle, die er gemietet hatte.

Der Psychologe der JVA Brandenburg Havel berichtete auch vom Knastalltag von Silvio S. Zu Beginn seiner Haftzeit sei er von Mitgefangenen gewalttätig angegriffen worden, sodass er verlegt wurde in andere Haftanstalten. Inzwischen habe sich S. zunehmend therapeutischen Angeboten wie Gruppengesprächen geöffnet und seine anfängliche Schüchternheit etwas überwunden. Über seine Taten und seine Motivation allerdings mache er bis heute keine Angaben. Für die Angehörigen der Opfer ist das eine unerträgliche Situation. Doch S. schweigt auf Anraten seiner Verteidiger.

Sehr ungünstige Prognose

Seine Gefährlichkeitsprognose sei "sehr ungünstig", sagte der forensische Psychologe. Silvio S. wolle an therapeutischen Massnahmen zwar teilnehmen - sich aber erst dann öffnen, wenn das derzeitig laufende Verfahren, das auf drei Verhandlungstage angesetzt wurde, beendet ist.

Mohameds Mutter sagt, sie denke jeden Tag und jede Nacht an ihren Sohn und an die furchtbaren Qualen, die er erleiden musste. Sie will, dass S. nie wieder auf freien Fuss kommt. Von Mohamed habe sie ein großes Foto anfertigen lassen, es hänge jetzt in ihrer Wohnung. Sie beginnt zu weinen. Und erzählt, dass das Jugendamt ihr ihre drei weiteren Kinder entzogen habe, da sie sich nicht ausreichend um sie gekümmert habe. Ihre Schwester klagt: "Man hat ihren Sohn ermordet, jetzt ihre drei Kinder weggenommen. Was ist Deutschland für ein Land?" Immer mal wieder schaut Mohameds Mutter zu Silvio S. im Gerichtssaal 8 des Landgerichts. Er wirkt abgemagert, blass, nervös, unsicher. Trägt ein T-Shirt, dazu Jogginghosen. Den Blick hat er auf den Vorsitzenden Richter und auf den Tisch vor sich geheftet. Als die Details der Verbrechen vorgelesen werden, derentwegen er verurteilt worden ist, schüttelt S. seinen Kopf, stützt ihn in seine Hände, als könne er selbst nicht glauben, mit welch unfassbarer Grausamkeit und Präzision er die beiden Jungen missbraucht, gequält und getötet hat. Bei der ersten Hauptverhandlung hatten Gutachter erklärt, dass Silvio S. emotional verwildert sei und mit menschenverachtender Empathielosigkeit seine Verbrechen verübt habe. Der Forensische Psychiater Matthias Lammel hatte damals gesagt, S. habe Kinder als Opfer gewählt, weil er sie körperlich habe beherrschen können.

Im Garten begraben

Um zu veranschaulichen, in welcher Welt S. lebte, hatte Staatsanwalt Peter Petersen im ersten Prozess Sexwerkzeuge wie Mundknebel, Fesselwerkzeug und Elektroschocker in die Mitte des Gerichtssaals drapiert. Dazu eine kleinkindgroße Puppe mit blonder Perücke, mit der sich Silvio S. "sexuell beschäftige". Dazu Kinderkleidung in Größe 86, Schuhe in Größe 27. Und eine gelbe Plastikbadewanne. In diese hatte der Verurteilte den vier Jahre alten Mohamed gelegt, tot, mit Katzenstreu bedeckt. Anschließend hat er ihn in der verwilderten Garzenparzelle begraben.

Dafür, dass Silvio S. einem Hang folgt, könnte auch die Aussage einer Kriminalkommissarin sprechen, die laut Staatsanwalt Petersen bestätigt, dass Silvio S. nach dem Mord an Elias eine weitere Parzelle anmieten wollte.

Der Prozess wird am kommenden Freitag fortgesetzt.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kriminalität
:Die Urangst aller Eltern

Die Taten sorgten bundesweit für Schlagzeilen: Silvio S. soll zwei kleine Jungen entführt und ermordet haben. Jetzt steht er vor Gericht.

Von Verena Mayer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: