Käßmanns Trunkenheitsfahrt:"Alkohol enthemmt"

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Der Polizei sagte Bischöfin Margot Käßmann, sie hätte nur ein Glas getrunken - dabei war sie mit 1,54 Promille über Rot gefahren. Eine Expertin erklärt, wie es dazu kommen kann.

Katarina Lukac

Prof. Dr. Gisela Skopp ist forensische Toxikologin am Institut für Rechts- und Verkehrsmedizin der Universität Heidelberg. Als Laborleiterin analysiert sie unter anderem Blutproben von betrunkenen Verkehrssündern. Bei Gericht wird Skopp als Gutachterin in Alkohol- und Drogenfragen herangezogen.

Gisela Skopp. (Foto: Foto: oh)

sueddeutsche.de: Wie viel muss man getrunken haben, um einen Blutwert von 1,54 Promille zu erreichen?

Gisela Skopp: Das ist ganz unterschiedlich und hängt zum Beispiel von der Muskelmasse ab. Generell kann man sagen, dass Frauen höhere Spiegel aufbauen, weil sie in der Regel weniger Muskelfleisch und mehr Fett als Männer haben. Man kann davon ausgehen, dass Frau Käßmann mindestens 55 Gramm Alkohol getrunken hat, möglicherweise auch mehr.

Das wäre die maximale Menge, wenn sie schnell getrunken und gleich danach kontrolliert worden wäre. Das entspricht zirka 1,5 Litern Bier oder 0,75 Litern Wein. Aber wir wissen nicht, in welchem Zeitraum sie getrunken hat und wann sie von der Polizei kontrolliert wurde. Der Alkohol verteilt sich schlagartig im ganzen Körper, wird praktisch ab Trinkbeginn abgebaut, vor allem in der Leber. Sie könnte eventuell auch mehr getrunken haben.

sueddeutsche.de: Was kann sich außer der Trinkdauer auf den Alkoholwert auswirken?

Skopp: Das Essen kann sich auswirken, und es kommt natürlich auf die Muskelmasse an. Ich habe das Beispiel mit dem Reduktionsfaktor für Frauen berechnet, der in der Rechtssprechung etabliert wurde. (Anm. sueddeutsche. de: Der Reduktionsfaktor reduziert in der Blutalkoholrechnung das Körpergewicht und berücksichtigt damit die Tatsache, dass sich der Alkohol im Körperwasser und nicht im -fett verteilt.) Wenn Frau Käßmann aber sehr gut durchtrainiert wäre, könnte man einen geringeren Reduktionsfaktor anwenden.

sueddeutsche.de: Der Polizei sagte die Bischöfin, sie hätte nur ein Glas getrunken.

Skopp: Die subjektive Wahrnehmung hängt von unheimlich vielen Faktoren ab. Zum Beispiel davon, ob man regelmäßiger trinkt, etwa jeden Abend ein Gläschen Wein. Das machen ja viele Deutsche. Es kommt darauf an, inwiefern sie an die Alkoholwirkung gewöhnt ist. Außerdem spielt der momentane Zustand eine Rolle. Wenn man gut drauf ist, spürt man den Alkohol weniger stark. Pauschal zu sagen, wie man sich bei 1,54 Promille fühlt, wäre vermessen.

sueddeutsche.de: Die Ausrede vom Gläschen Wein wird von trinkenden Verkehrssündern also gar nicht als Lüge empfunden?

Skopp: Ich habe beruflich häufiger mit Menschen zu tun, die meinen, sie könnten mit drei Promille noch fahren. Sie sind überzeugt davon, sonst wären sie ja nicht ins Auto gestiegen. Je nach Alkoholgewöhnung reflektiert man nicht mehr alles. Als Gutachter muss man herausfinden, was sich im Vorfeld abgespielt hat, bevor man zu einer abschließenden Beurteilung kommt.

sueddeutsche.de: Welche Auswirkungen können etwa Medikamente auf die Alkoholwirkung haben?

Skopp: Es gibt eine Menge sedierender Medikamente, darunter viele Psychopharmaka, die ruhig stellen und die Alkoholwirkung eindeutig potenzieren. Alkohol ist ja eigentlich ein Narkosemittel und wirkt zentral lähmend. Andere Medikamente dagegen, wie zum Beispiel Amphetamine, wirken aufputschend. Die werden zum Beispiel im Rotlichtmilieu eingenommen, weil die Damen trinken, aber fit bleiben müssen. Und schließlich gibt es Medikamente, wie zum Beispiel Aspirin, die sich auf Alkoholwirkung gar nicht auswirken - einmal abgesehen davon, dass man seinem Magen damit nichts Gutes tut.

sueddeutsche.de: Warum ist Alkohol gerade am Steuer so gefährlich?

Skopp: Alkohol beeinflusst den Körper und auch die Seele. Ab 1,5 Promille können ungefähr 50 Prozent aller Personen nicht mehr sicher gehen oder klar sprechen. Doch die Frage, ob jemand lallt oder nicht, ist verkehrsmedizinisch erst einmal nicht relevant. Für die Fahrtüchtigkeit spielt erstens die Beeinträchtigung der Sehnerven eine Rolle - auf sie wirkt sich der Alkohol sehr drastisch aus. Man sieht unscharf und kann die Dinge nicht mehr richtig fixieren. Zweitens ist da die Psyche: In der Anfangsphase des Trinkens ist man erregt, relativ kritiklos und enthemmt, später durch die zentralnervös dämpfende Wirkung ermüdet und erschöpft. Besonders schlimm ist das nachts, wenn man ohnehin körperlich müde ist.

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